Der Förderverein Liberale Synagoge startet zum vierten Mal in Folge die Darmstädter Aktions-Wochen gegen Antisemitismus. Erstmals hatte der FLS diese Veranstaltungsreihe im Herbst 2012 organisiert. „Wir wollen damit ein Zeichen wider den aktuellen Antisemitismus setzen – Zukunft braucht Erinnerung!“, so
Martin Frenzel, Gründer und Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge. Man sei angesichts des wachsenden Antisemitismus in Europa und in Deutschland tief besorgt. Frenzel wörtlich: „Antisemitismus kommt heute in vielen Gewändern
daher – rechtsextrem, linksextrem, islamistisch, aber verstärkt auch in feinem bürgerlich-akademisch geprägten Gewand. Judenfeindschaft ist, das zeigen neueste Studien und auch der Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung – heute ein Phänomen, das leider längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“ Es sei unfassbar, dass das Gift des
Antisemitismus heute noch nachwirke, angesichts der Europäischen Judenvernichtung, der fast sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Dem müsse man durch konsequente Aufklärung und
eindeutiges Engagement entgegentreten. Im Zentrum stehe der Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar!“
Der Förderverein Liberale Synagoge wolle mit seinem Programm der 4. DARMSTÄDTER AKTIONS-WOCHEN GEGEN ANTISEMITISMUS 2015 einen Beitrag für eine empathische,
weltoffen-solidarische und liberale Stadtgesellschaft leisten.
Man wolle mit den Wochen daran erinnern, dass 2015 nicht
nur den 70. Jahrestag des Kriegsendes des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung von der Nazi-Diktatur 1945 markiere, sondern er stehe auch für das Ende der Judenvernichtung und –verfolgung, des Holocausts, der ohne den 8.Mai 1945 weitergegangen wäre. Ferner wolle man 2015 erinnern an den traurigen 80. Jahrestag der berüchtigten Nürnberger Rassismus-Gesetze der Nazis von 1935, welche die pseudo-juristische Grundlage für die systematische Entrechtung Entwürdigung und Verfolgung der Deutschen jüdischen Glaubens geschaffen habe.
Diese fatalen Nürnberger Gesetze von 1935 stünden im Schatten des 1945-Gedenkens, seien aber das Vorspiel zum Holocaust gewesen – und hätten der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung von Deutschen jüdischen Glaubens durch
die christlich-deutsche Mehrheitsgesellschaft Tür und Tor geöffnet.
Der FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE habe aber bewusst die Darmstädter Aktions-Wochen 2015 mit einer Veranstaltung zum Thema „100 Jahre Synagoge Eberstadt“ (und über das Jüdische Eberstadt und die dortigen NS-Verbrechen) gestartet, um an den
großen kulturellen Verlust zu erinnern, den die Auslöschung des Jüdischen Darmstadts für die Stadt bedeutete.
Den Auftakt der Aktionswochen bildet ein Film- und Gesprächsnachmittag in der Jüdischen Gemeinde im Rüdiger Breuer-Saal „Die Liberale Synagoge: Wenn Steine aus der Mauer schreien“ (Sonntag, 1. November 2015, um 15.30 Uhr,
Eintritt 5 Euro, Wilhelm-Glässing-Str.). Zu sehen ist der sehenswerte, von der Kritik hochgelobte Dokumentarfilm des Darmstädter Filmemachers Florian Steinwandter-Dierks, der mit maßgeblicher Unterstützung des Fördervereins Liberale Synagoge entstand. Hernach findet ein von Martin Frenzel moderiertes
Podiumsgespräch mit dem Ev. Pfarrer Rüdiger Grundmann statt, der bei der Rettung der wiederentdeckten Überreste der Liberale Synagoge im Oktober 2003 eine Schlüsselrolle spielte.
In Kooperation mit dem Darmstädter RexKino zeigt der FLS überdies am Dienstag, 03. November 2015, 20:30 Uhr, und Donnerstag, 05.November 2015, 17:45 Uhr im programmkino rex, Wilheminenstraße / Grafenstraße (Helia-Passage) den erst vor kurzem mit dem Hessischen Filmpreis 2015 ausgezeichneten Spielfilm „Der Staat gegen FRITZ BAUER“ (2015) – zu Ehren des legendären Hessischen Generalstaatsanwalts (1903 – 1968) und
Vaters des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Darin spielt der preisgekrönte Charakter-Darsteller Burghart Klaußner die Hauptrolle als Fritz Bauer (Eintrittspreis: regulär 7 EUR, ermäßigt 5,50 EUR).
Ein besonderer Höhepunkt der diesjährigen Darmstädter Aktionswochen: Die offizielle Einweihung der vom FLS initiierten Heinrich Blumenthal-Gedenktafel auf dem Johannesplatz (Rondell, Nordseite der Ev. Johanneskirche, Ecke Wilhelm Leuschner-Str./Alicenstr.) am Freitag, 6. November 2015, 11.00 Uhr. „Damit wollen wir den Gründer des Blumenthal- und heutigen Johannesviertels ehren, einen erinnerungskulturellen Beitrag gegen das Vergessen leisten“, so Martin Frenzel. Dies sei nun schon die dritte Gedenktafel-Ehrung nach dem vom FLS initiierten Julius-Landsberger-Platz 2011 (sowie 2013) und der Otto Wolfskehl-Gedenktafel im Bessunger Wolfskehlschen Garten (2014) in der noch jungen Geschichte des Fördervereins. Der FLS habe seit November 2014, als man von Seiten des Fördervereins die Idee einer Hommage an Heinrich Blumenthal öffentlich machte, die Initiative ergriffen, Spenden aus der Bürgerschaft und von Institutionen gesammelt. Man werde die Blumenthal-Tafel gemeinsam mit Oberbürgermeister Jochen Partsch, den Vertretern der Ev. Johannesgemeinde und der Jüdischen Gemeinde Darmstadt enthüllen. Blumenthal sei zudem in der Kaiserreichszeit erster Gemeindevorsteher der Liberalen Jüdischen Mehrheitsgemeinde Darmstadts gewesen. Er spielte beim Bau der Liberalen Synagoge von 1876 – neben Rabbi Dr. Julius Landsberger und dem Darmstädter Wohltäter Otto Wolfskehl – eine entscheidende Rolle.
Auch diesmal veranstaltet der FLS wieder Liberale Synagoge-Rundgänge in der Gedenkstätte Klinikumsgelände: Zwei Termine finden am Gedenkwochenende am Vorabend des 77. Jahrestags der Darmstädter Novemberpogrome 1938 statt – am Samstag, 7. November und Sonntag, 8.November 2015, jeweils 14.30 Uhr, Treffpunkt Eingang Gedenkstätte, Zugang via Gagernstr. / Bleichstr. oder Julius-Landsberger-Platz. Titel aller Liberale Synagoge-Rundgänge des FLS: „JÜDISCHES DARMSTADT. Auf den Spuren der Liberalen Synagoge, des SV Darmstadt 98-Präsidenten Karl Hess und eines NS-Verbrechens“.
Weitere Termine finden am Sonntag, 22. November 2015, 14.30 Uhr, und letztmalig in diesem Jahr am Sonntag, 6. Dezember 2015, 14.30 Uhr, statt. Der Eintritt ist frei. Spenden fürs Projekt Karl Hess-Platz mit Gedenktafel 2016 sind erbeten.
Zwei Highlights der Aktionswochen 2015 bilden die FLS-Abendvorträge von HELMUT ORTNER und PROF. DR. INGO MÜLLER: So spricht der Darmstädter Schriftsteller, Journalist und Mediengestalter Helmut Ortner am Dienstag, 10. November 2015, um 19.30 Uhr, im Gr. Saal des Justus-Liebig-Hauses übers brisante Thema „MACHT, VERBRECHEN und WIDERSTAND“ –
am Beispiel des Hinrichters Roland Freisler (1893 – 1945, berüchtigter Präsident des „Volks“gerichtshofs der Nazis) und des Widerstandskämpfers und Hitlerattentäters Georg Elser (1903 – 1945). Freisler starb 1945, vor 70 Jahren, durch eine Bombe, der stille Held Georg Elser wurde durch einen SS-Täter im KZ Dachau auf Befehl Hitlers kurz vor Kriegsende ermordet. Nach Ortners Vortrag gibt es ein Podiumsgespräch zum Thema ANPASSUNG, KOMPLIZENSCHAFT und ZIVILCOURAGE gestern, heute und morgen.
„Aktive Zivilcourage stärken, das ist unser Ziel und notwendiger denn je“, sagte dazu die stellvertretende FLS-Vorsitzende
Barbara Ludwig. Gerade die verstärkten Umtriebe von Neo-Nazis und Vertretern der sog. ‚Querfront‘ um Jürgen Elsässer, aber auch von Salafisten in Südhessen und im Landkreis seien ernste Alarmzeichen. „Wir brauchen hellwache Bürgerinnen und Bürger, die sich ohne Wenn und Aber gegen Antisemitismus und Rassismus und für ein tolerantes, weltoffenes
Miteinander engagieren, dieses Engagement muss aus der breiten Mitte unserer Gesellschaft kommen.“
Das andere Highlight steht im Zeichen des 80. Jahrestags der berüchtigten Nürnberger Judenverfolgungs-Gesetze der Nazis von 1935: Der FLS-Abendvortrag „FURCHTBARE JURISTEN“ von und mit Prof. Dr. Ingo Müller (Berlin), dessen Standardwerk über
die unbewältigte braune Vergangenheit der Justiz 1987 in der Bundesrepublik und international für Aufsehen sorgte, nun endlich in Neuauflage erschienen ist. Im Blickpunkt: Die Braune Justiz ohne Gewissen 1933 bis 1945, die ungesühnte
Nazi-Justiz nach 1945 – Stichwort: Hans Globke, Filbinger, Eduard Dreher und nicht zuletzt der Darmstädter SS-Täter und
–vordenker und NS-Apologet nach 1945 Dr. Werner Best (1903 – 1989). Termin: Donnerstag, 26. November 2015, um 19.30 Uhr, im Gr. Saal des Justus-Liebig-Hauses, Gr. Bachgasse 2. Eintritt 5 Euro. „Kein einziger Jurist ist nach 1945 für seine schlimmen NS-Verbrechen belangt worden“, so der stellvertretende FLS-Vorsitzende Prof. Dr. Detlef Claus. „Im Gegenteil: Es gab eine unheilvolle Kontinuität, NS-Juristen konnten munter weitermachen als sei nichts gewesen, stiegen nach 1945 in hohe und höchste Ämter auf. Diese Juristen waren wie Wölfe im
Schafspelz.“
Bereits am Dienstag, 17. November 2015, 19.30 Uhr hält der Darmstädter Historiker, Buchautor („Zierde unserer Stadt: Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Liberalen
Synagoge“) und FLS-Vorsitzende Martin Frenzel im Rahmen seiner Vortragsreihe VERGESSENE DARMSTÄDTER JUDEN einen Bildvortrag u.a. über Heinrich Blumenthal, Marie Trier und den SV Darmstadt 98-Präsidenten Dr. Karl Hess, aber auch weitere, heute weitgehend vergessene Darmstädterinnen und Darmstädter jüdischen Glaubens aus den Bereichen Justiz, Kultur und Sport. Ort: Justus-Liebig-Haus, Wintergarten, 1.Stock, Eingang vhs-Foyer. Eintritt 5 Euro.
Hauptveranstalter der 4. Darmstädter Aktions-Wochen 2015, die damit auch die bundesweiten Wochen gegen Antisemitismus der Berliner Amadeu Antonio-Stiftung unterstützten, ist der gemeinnützige, erinnerungskulturell engagierte
Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V., der dabei mit der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, dem Darmstädter Förderkreis Kultur, Loungefilm, das RexProgrammkino Kinopolis, der
Evangelischen Johannesgemeinde und der Wissenschaftsstadt Darmstadt kooperiert.
Zudem startet der FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE im November 2015 seine neue Benefizspendenkampagne DARMSTADT braucht einen Dr. Karl Hess-Platz November
2016!“. Mit diesem neuen Karl Hess Platz, zu dem man auch wieder eine Gedenktafel ermöglichen werde, wolle man
den letzten deutsch-jüdischen, heute vergessenen SV Darmstadt 98-Präsidenten Dr. Karl Hess ehren (1900 – 1975) – ähnlich, wie dies auch der FC Bayern München mit Kurt Landauer und der FSV Mainz 05 mit Eugen Salomon getan hätten. Hess, in der Weimarer Republik hoch angesehener Lilien-Präsident und renommierter Rechtsanwalt, wurde von den Nazis illegal aus dem Amt gejagt, aus seiner Heimatstadt Darmstadt gewaltsam vertrieben und floh ins Brasilien-Exil. Ein kurzes Darmstadt-Intermezzo in den 1960er Jahren war nicht von Dauer. Er ging nach kurzer Zeit erneut ins Exil am Zuckerhut, wo er 1975 starb. Erste gute Gespräche mit hochrangigen Lilien-Vertretern des SV Darmstadt 98 haben bereits stattgefunden. „Wir bleiben in Sachen Karl Hess-Platz am Ball“, so FLS-Vorsitzende Martin Frenzel. Ziel sei die Einweihung des neuen Karl Hess-Platzes mit Tafel vorm Merck-Stadion am
Böllenfalltor im November 2016, im nächsten Jahr. Dazu plane man u.a. im Frühjahr 2016 eine Benefizspenden-Kulturveranstaltung „Darmstadt braucht einen
Karl Hess-Platz November 2016!“ mit Irith Gabriely und Iris Stromberger. Die Idee für den Karl Hess Platz habe man
schon lange vorm Lilien-Aufstieg in die Erste Bundesliga publik gemacht, so der FLS.
Des Weiteren stehe das Jahr 2016, von Februar an, im Zeichen des historischen 140. Geburtstags der Liberalen Synagoge (1876 – 2016): Dazu plant der Förderverein Liberale Synagoge einen Spezial-Jubiläums-Rundgang in der Gedenkstätte Klinikumsgelände am 23.Februar 2016, einen Bildvortrag „140 Jahre Liberale Synagoge Darmstadt 1876 - 2016“ mit anschließendem Podiumsgespräch. Außerdem wolle man den
Liberale Synagoge-Film „Wenn Steine aus der Mauer schreien“ von Florian Steinwandter-Dierks in 2016 das ganze Jahr über an vier ausgewählten Darmstädter Schulen vor Schülerinnen und Schülern zeigen (dies 2017 an weiteren Schulen fortsetzen) und dazu jeweils ein Zeitzeugengespräch anbieten. „Unser Anliegen ist es, gerade Schülerinnen und Schüler zu sensibilisieren, ihr
kritisches Geschichtsbewusstsein zu wecken“, so Barbara Ludwig,
stellvertretende FLS-Vorsitzende dazu. Auch ein Tag der Offenen Tür zum Liberale Synagoge-Modell Christian Häusslers in der Jüdischen Gemeinde und zu den Liberale Synagoge-Funden ebendort (verbrannte Thorarolle, Zierrat, Säulen-
und Schmuckstücke aus dem Oktober 2003, ein heil gebliebenes grün-gelbes Glasfenster der Liberalen Synagoge aus dem Darmstädter Novemberpogrom) sei in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Darmstadt geplant.
Weitere Programm-Punkte fürs Jubiläumsjahr 2016
seien bereits in Planung, heißt es beim FLS.
Der Förderverein Liberale Synagoge hat, fast fünf Jahre nach seiner Gründung im Januar 2011, gegenwärtig ca. 75 Mitglieder. „Wir hoffen sehr, als David der Darmstädter Erinnerungsarbeit, im Laufe des Jubiläumsjahrs 2016 die 100er Mitglieds-Marke überspringen zu können“, so der Tenor beim FLS. Dem Förderverein gehöre zahlreiche Darmstädter Prominente an.
Mehr Infos per E-Mail: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de Außerdem unter: www.liberale-synagoge-darmstadt.de.