Meine Damen und Herren,
herzlich willkommen hier im Haus der Geschichte: Wir eröffnen heute Abend die 100 Jahre Reichsbanner-Ausstellung im Ramen der 12.Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus unter dem Motto Zukunft braucht Erinnerung.
Ich bin Martin Frenzel, der Initiator dieser Darmstädter Reichsbanner-Ausstellungspräsentation, Gründer und Vorsitzender des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. Wir vom Förderverein Liberale Synagoge haben diese bundesweite Wanderausstellung nach Darmstadt geholt - und konnten dafür das Hessische Staatsarchiv Darmstadt und den Reichsbanner Hessen e,.V. Landesverband als Kooperationspartnerund Unterstützer gewinnen.
Fritz Bauer, selbst aktives Mitglied im Reichsbanner, in den 1960er Jahren Vater des Frankfurter Auschwiz-Prozesses, sagte einmal den heute noch gültigen Satz: "Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden."
Meine Damen und Herren,
Schwarz-Rot-Gold waren nicht nur die Farben der 1848er liberalen Revolution, der Paulskirche und der Weimarer Nationalversammlung, sondern auch die des am 22. Februar 1924, vor genau 100 Jahren, gegründeten Reichsbanners.
In ihrem Kampf um die Weimarer Republik reihten sich die Mitglieder der Republikschutzorganisation in deutsche Freiheitstraditionen ein.
Parlamentarische Demokratie war für die Reichsbanner-Männer die Bedingung, dass Deutschland in Frieden und Freiheit werde leben können. Von den Rechtsverbänden und
rechten Wehrverbänden wurde das Reichsbanner mit einem gängigen agitatorischen Mittel angegriffen: mit Antisemitismus. Denn dieser war (und ist!) im Denken der deutschen Rechtsradikalen immer
gegenwärtig.
Mit mindestens 1,5 Millionen Mitgliedern (andere Zahlen sprechen sogar in Spitzenzeiten von drei Millionen Mitgliedern!) war das 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold die größte demokratische Organisation der Weimarer Republik. In den Jahren zuvor war die junge Republik Angriffen von Rechts- und Linksextremisten ausgesetzt. Politische Morde und Aufstandsversuche erschütterten die Demokratie.
Im Reichsbanner engagierten sich Parteilose sowie Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der katholischen Zentrumspartei (Zentrum).
Ziel des Bundes war es, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Als Gegner standen dem Reichsbanner Nazis, Monarchisten und Kommunisten
gegenüber.
In ganz Deutschland hielt die größte Massenorganisation der Weimarer Republik am 11.August Verfassungsfeiern in Städten ab, auch in Frankfurt, um sich zur Weimarer Verfassung und den Geist von 1848 zu bekennen…. Der Reichsbanner zeigte Flagge für Freiheit, Gleichheit und Demokratie und setzte dabei, wie wir heute sagen würden, sogar auf Merchandising.
1933 wird Johannes Stelling von der SA ermordet.
Der Sozialdemokrat wird 1919 in die verfassunggebende Nationalversammlung gewählt und gehört dem Reichstag bis zum Ende der Weimarer Republik an. 1919/20 ist er Innenminister des Freistaates Mecklenburg-Schwerin und von 1921 bis 1924 Ministerpräsident. Anschließend arbeitet er in Berlin als Sekretär des SPD-Parteivorstandes.
Im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der größten demokratischen Massenorganisation der Weimarer Republik, engagiert er sich für die Verteidigung von Republik und Demokratie. Bald nach der Gründung des Reichsbanners übernimmt er als Leiter des Gaus Berlin-Brandenburg verantwortungsvolle Aufgaben, später wird er zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt.
Nachdem ein Teil der SPD-Führung im Mai 1933 ins Exil nach Prag gegangen ist, wirkt er als Bindeglied zu den in Berlin verbliebenen Mitgliedern des Parteivorstandes. Mehrfach sorgt er dafür, dass Informationen ins Ausland gelangen, die in Deutschland wegen der nationalsozialistischen Pressezensur nicht verbreitet werden können. Dazu unternimmt er selbst auch Reisen ins Ausland.
Im Juni 1933 wird Johannes Stelling, wie viele andere Sozialdemokraten und Kommunisten, in Berlin-Köpenick von der SA verschleppt und ermordet. Seine sterblichen Überreste sind mit Schusswunden übersät und von den Misshandlungen der SA bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Die Schau dokumentiert mit ausdrucksstarken Fotos und Dokumenten den umfassenden Einsatz des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold für die demokratische Republik von Weimar. Sie macht deutlich, dass von einer „Republik ohne Republikaner“ nicht gesprochen werden kann.
Eine zentrale Lehre der Geschichte des Reichsbanners und der Weimarer Demokratie, ist, dass eine Demokratie nicht nur liberal, sondern auch wehrhaft sein muss.
Nach wie ist das Vermächtnis des prominenten Darmstädter Reichsbanner-Mitglieds Wilhelm Leuschner brandaktuell: „Wir setzen uns … zur Wehr gegen den Missbrauch der demokratischen Freiheiten.“
Von Carlo Schmid stammt der treffende Satz, Demokratie muss auch den „Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“.
Zahlreiche prominente Reichsbanner-Aktive kamen aus Hessen - allen voran die ‚Fantastischen Darmstädter Vier‘: Wilhelm Leuschner, Theodor Haubach, Carlo Mierendorff und Ludwig Schwamb…
Carlo Mierendorff war es, der zusammen mit Sergej Tschachotin die Drei Pfeile, das Anti-Nazi-Signet, für die Eiserne Front ersann.
Der Sozialdemokrat Carlo Mierendorff popularisierte zusammen mit Sergej Tschachotin die drei Pfeile als Symbol für die Eiserne Front.
„Erfinder“ des Zeichens war der Exilrusse Sergej Tschachotin, ehemals Assistent des Physiologen Iwan Pawlow. Er sah nach eigenem Bekunden 1931 in Heidelberg an einer Haus- oder Plakatwand ein mit weißer Kreide durchgestrichenes Hakenkreuz. Als Urheber vermutete er einen wütenden Arbeiter. Diesen stilisierte er sogleich kampfbetont zum „unbekannten Soldaten unserer großen Arbeiterarmee“. Die raffinierte Einfachheit des Dreipfeils und seine offenbar spontane Geburt, die unabhängig vom Wahrheitsgehalt zum Gründungsmythos wurde, trugen zur Verbreitung des Symbols bei.
Tschachotin und der hessische SPD-Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff waren zugleich maßgeblich für die propagandistische Neuausrichtung der Sozialdemokratie verantwortlich. Sie hatten erkannt, dass das „Zeitalter der Massen“ völlig veränderte Kommunikationsformen erforderte. Dabei mussten sie allerdings erhebliche Widerstände in der SPD-Bürokratie brechen. Die Dominanz des Emotionalen gegenüber dem Rationalen, notierte Tschachotin, sei von den NS-Größen voll erfasst worden, während die Republikaner noch immer annähmen, „man könne die Masse durch reine Überzeugung gewinnen“.
Die Eiserne Front schuf seit Ende 1931 einen umfangreichen Symbolkanon, der zu einem guten Teil auf die drei Pfeile bezogen war, etwa das Liedgut und die Flagge
Die EISERNE FRONT – das war jene Allianz, die sich auf Initiative des Reichsbanners 1931 bildete, um die Zerstörung der Weimarer Demokratie zu stoppen.
Wie wir wissen: Dieser Versuch scheiterte, leider.
Im Reichsbanner wird Haubach Vorstandsmitglied im Gau Hamburg-Bremen-Nordhannover und später auch Vorsitzender des Reichsbanners Hamburg. Sowohl im Gau als auch auf Reichsebene nimmt er unzählige Gelegenheiten wahr, sich einzubringen: sei es als prominenter Teilnehmer an Geländespielen oder als Redner bei Fahnenweihen kleiner Ortsvereine und bei Großveranstaltungen. Die zur Abwehr nationalsozialistischer Überfälle 1930 gegründete Schutzformation des Reichsbanners begrüßt er mit den Worten: „Das Reichsbanner soll im äußersten Fall die Republik mit ihren Leibern decken und muss deshalb eine Kampforganisation mit allen Konsequenzen sein.“
Die heute vergessene, in ihrer Zeit bedeutende und von Wilhelm Leuschner sehr geschätzte Darmstädter Landtagsabgeordnete und SPD-Politikerin Lily Pringsheim war die Mutter von Karl Pringsheim. Er, Karl Pringsheim, wurde 1932 Vorsitzender der Darmstädter SPD und Vorstandsmitglied im Reichsbanner.
ERINNERT SEI aber auch der Kasseler Oberbürgermeister und erste Reichsministerpräsident der Weimarer Republik, Philipp Scheidemann, oder der spätere legendäre hessische Ministerpräsident Georg August Zinn.
Ich darf erinnern, dass auch Persönlichkeiten wie Kurt Schumacher oder der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Theodor Heuss aktive Reichsbanner-Mitglieder
waren… und auch Otto Wels, der als letzter Fraktionschef der SPD im Reichstag und Reichsbanner-Gründungsmitglied 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz stimmt und die berühmten Worte sagt: Die
Freiheit kann man uns nehmen, die Ehre nicht!
Ich darf hier auch an die zahlreichen Deutschen jüdischen Glaubens erinnern, die sich für den Schutz der Republik im Reichsbanner aktiv engagierten:
Das hatte Folgen für das Engagement von jüdischen Reichsbannerangehörigen – zahlreiche sozialdemokratische und linksliberale Aktivisten hatten einen jüdischen Familienhintergrund. In Wuppertal war der jüdische Sozialdemokrat Oswald Laufer einer der führenden Kämpfer des Reichsbanners. Schon am 7. März 1933 wurde er Opfer im Kampf für die Republik. Auch Siegmund und Max Löwenstein waren jüdischer Herkunft und bezahlten einen hohen Preis für ihren Einsatz für Demokratie und Freiheit.
Politikerinnen wie die AWO-Gründerin und erste AWO-Vorsitzende Marie Juchacz (SPD), Christine Teusch (Zentrum), die erste Kultusministerin von NRW nach 1945 wurde, oder Marie-Elisabeth Lüders (DDP) rufen in der „Illustrierten Reichsbanner-Zeitung“ Frauen wiederholt dazu auf, sich bei den Wahlen und in politischen Fragen, wie der Flaggenfrage, republikanisch zu positionieren
Ich darf auch daran erinnern, dass die bedeutende hessische, deutsch-jüdische SPD-Politikerin Tony Sender, die aus Wiesbaden-Biebrich stammte, sich nach der gewaltsamen Heimatvertreibung durch die Nazis in der Exilgruppe des republiktreuen Wehrverbands „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ engagierte. Diese mutige Frau und Reichstagsabgeordnete der SPD starb vor genau 60 Jahren, 1964 im US-Exil in New York ….
Ich darf auch daran erinnern, dass der Frauenbund Schwarz-Rot-Gold im hessischen Gießen als Ergänzung zum dortigen Reichsbanner gegründet wurde.
Die Passage einer Rede des letzten Reichsbanner-Vorsitzenden am Beginn der NS-Diktatur im Februar 1933 auf der letzten Bundesgeneralversammlung des Reichsbanners in Berlin, Karl Höltermanns blieb in besonderer Erinnerung, da ihm die Geschichte rückblickend recht gab:
„Regierungen kommen und gehen. [...] Nach Hitler kommen wir! Es werden wieder die deutschen Republikaner sein, die einen Scherbenhaufen aufräumen müssen. Auf diesen Tag richten wir uns ein!“
Meine Damen und Herren,
unser Dank an Prof. Johannes Tuchel und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin
großer Dank an den Direktor des Hessischen Staatsarchivs, Dr. Pons
Dank an Bijan Kaffenberger, der leider wg. der heutigen Plenarsitzung leider nicht da sein kann: Der ebenso beim Aufbau geholfen hat wie auch sonst bei der logistisch-organisatorischen Unterstützung….
Dank auch an Michelèle van Geldere, Benedikt Freitag, die Beide ganz wunderbar beim Aufbau geholfen haben
Dank an den Reichsbanner e.V. Hessen und Lennard Oehl, den ich hier herzlich begrüße
Meine Damen und Herren,
wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, die bundesweite Wanderausstellung zum 100jährigen Bestehen des Reichsbanners nach DARMSTADT zu holen.
Diese Reichsbanner-Schau wird bis 14. Februar 2025 hier im Haus der Geschichte zu sehen sein.
Wir hoffen, dass zahlreiche Darmstädter Schulklassen und interessierte Darmstädter Bürgerinnen und Bürger sich diese Ausstellung über diese Bürgerwehr für die Demokratie ansehen werden.
Ich darf Sie alle schon jetzt einladen zum zweiten Vortragsabend unseres Rahmenprogramms zur Darmstädter Reichsbanner-Schau:
Am Mittwoch, 5. Februar 25, spricht auf Einladung des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. der Historiker, Buchautor und ausgewiesene Reichsbanner-Kenner Dr. Marcel BÖHLES aus Weimar hier im Eckart G. Franz-Saal des Hauses der Geschichte übers Thema:
100 Jahre Reichsbanner (1924-2024) - "Golden flackert die Flamme": Der Verband der Republiktreuen - auch und gerade in Hessen
Dazu schon jetzt die herzliche Einladung!
Ich darf Sie nach den Eröffnungsreden zur Vernissage hier heute Abend noch zu einer von mir geleiteten Rundführung des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE
DARMSTADT einladen, zu der alle Interessierten durch die Ausstellung herzlich eingeladen sind - und bei der ich die einzelnen Tafeln erklären werde.