Martin Frenzel, Gründer und Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge, bekommt am 30. April in der Orangerie Darmstadt die Bürgerehrung für jahrelanges, gemeinwohlorientiertes Engagement auf dem Gebiet der Erinnerungsarbeit verliehen, wie der Verein mitteilt. Die Stadt Darmstadt zeichnet alljährlich Ende April Bürger für ihre Verdienste durch Verleihung einer Ehrenurkunde aus. Außerdem erhält der Förderverein Liberale Synagoge am 20.Mai, ebenfalls von der Stadt Darmstadt, den zweiten Preis "Gesicht zeigen!". Martin Frenzel (49) gründete den Verein im Januar 2011 auf der Mathildenhöhe. Seit Jahren bietet er Führungen in der städtischen Gedenkstätte Liberale Synagoge an. "Wir freuen uns sehr über die gleich doppelte Anerkennung unserer Erinnerungsarbeit", so Frenzel.
Aus: "FRANKFURTER RUNDSCHAU",Rubrik "Personalabteilung", Osterausgabe der FR, 2014 (19.04.2014)
Erinnerungsarbeit als Zukunftsaufgabe
Geschichte – Tafel soll der Familie von Otto Wolfskehl
gedenken
Mit einer Gedenktafel will der Förderverein Jüdische Synagoge an die Familie von Otto Wolfskehl erinnern. Dazu werden nun Fördergelder gesammelt. Auch im Jahresprogramm finden sich
Veranstaltungen zu dem Thema.
Die Wolfskehlstraße ist eher unauffällig und führt von der Dieburger Straße nach Südosten über den Bernhard-Sälzer-Platz zur Erbacher Straße – parallel zum Spessartring. Die meisten Darmstädter
kennen sie wohl nicht.
Auch der Namensgeber und seine jüdische Familie sind weitgehend unbekannt. Der Eisenbahn-Pionier Otto Wolfskehl war einer der Gründerväter der heutigen Technischen Universität, der HSE und des Bauvereins – auch wenn sie damals andere Namen trugen. Seine Söhne waren der Schriftsteller Karl und der Regierungsbaumeister Eduard, der den Bau des Hauptbahnhof Darmstadt betreute.
Verein sammelt Fördergeld
Der Förderverein Liberale Synagoge will an diese Familie erinnern. „Mit einer Gedenktafel am Wolfskehlschen Garten in der Nähe des Herdwegs wollen wir diese bedeutende Darmstädter Familie den
Bürgern der Stadt ins Gedächtnis zurückrufen“, betont der Vereinsvorsitzende, Martin Frenzel, „weil wir die Erinnerungsarbeit als dauernde Zukunftsaufgabe sehen.“
Auch mehrere Vorträge und Führungen in diesem Jahr handeln von diesen Darmstädter Bürgern. Derzeit sammelt der Verein Fördergelder, damit die geplante Gedenktafel in Bessungen im nächsten November enthüllt werden kann.
Das Jahresprogramm des Vereins hat aber auch markante Jahrestage zum Schwerpunkt: Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen; fünf Jahre später versuchten
einige Offiziere, mit dem Attentat auf Adolf Hitler den Krieg zu beenden.
Der Historiker Jochen Böhler aus Jena wird am 23. Oktober im Justus-Liebig-Haus einen Vortrag halten: „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Werner Bests Einsatzgruppen und die Massenmorde in Polen 1939.“ In seinem Konzert „mir leben eybik“ wird Daniel Kempin an den jüdischen Komponisten Mordechaj Gebirtig erinnern, der 1942 im Krakauer Ghetto starb.
Vortrag von Widerstandsforschern
(...) Der juristische Umgang mit dem Nazi-Unrecht nach 1945 ist das Thema von Joachim Perels.
Auf die aktuelle Serie von Anschlägen auf Gedenkstätten und Stolpersteine in Südhessen weist Detlef Claus hin:
„Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen Angst davor bekommen, weiterhin Stolpersteine zu verlegen.“
Termin
Am Sonntag (23.) um 14.30 Uhr erinnert der Historiker Martin Frenzel in der Gedenkstätte Liberale Synagoge, Bleichstraße, an die Geschichte des Gotteshauses, das am 23. Februar 1876 eingeweiht
wurde.
Aus: DARMSTÄDTER ECHO, 21. Februar 2014, von Marc Mandel.
FAZ am 24. Februar 2014
Erinnern an Familie Wolfskehl
Förderverein Liberale Synagoge sammelt für Gedenktafel
h.r. DARMSTADT. Der Förderverein Liberale Synagoge startet am 13. März mit einer Veranstaltung im Haus der Geschichte die Benefizkampagne "Darmstadt ...
FAZ-Artikel von Rainer Hein vom 24. Februar 2014
h.r. DARMSTADT. Der Förderverein Liberale Synagoge startet am 13. März mit einer Veranstaltung im Haus der Geschichte die Benefizkampagne „Darmstadt braucht eine Otto Wolfskehl-Gedenktafel“. Das hat der Vereinsvorsitzende Martin Frenzel bei der Vorstellung des Halbjahresprogramms mitgeteilt.
Der Förderverein wolle mit seiner Initiative an diese jüdische Familie erinnern, deren Namen aus dem Stadtbild bis auf die „unscheinbare“ Wolfskehlstraße verschwunden sei.
Als Ort für die Tafel schlägt der Verein den Bessunger Wolfskehlschen Garten vor, wo die Villa der jüdischen Familie stand.
Frenzel wird zum Auftakt am 13. März in einem Vortrag an Otto und Eduard Wolfskehl erinnern. Ersterer gelte als Pionier des Eisenbahnwesens, als einer der treibenden Kräfte bei der Erweiterung
der Technischen Hochschule und als Mitbegründer der Südhessischen Gas und Wasser AG, der Landeshypothekenbank und des Bauvereins. Außerdem habe Otto Wolfskehl, der von 1841 bis 1907 lebte, als
Stadtverordneter an der Gründung mehrerer Stiftungen mitgewirkt, den Ausbau der Mathildenhöhe unterstützt und gelte als einer der „Motoren“ beim Bau der Liberalen Synagoge 1876.
(...)
Neben der Spendenkampagne richtet der Verein im ersten Halbjahr den Fokus auf den Widerstand gegen das NS-Regime und den Umgang mit den NS-Verbrechen der Nationalsozialisten nach Kriegsende.
So wird es im März und April Vorträge geben zu „Fritz Bauer – Auschwitz und Hans Stark vor Gericht“ und zum „Umgang mit dem NS-Unrecht nach 1945“.
In der zweiten Jahreshälfte wird es um den deutschen Überfall auf Polen vor 75 Jahren gehen. Über den „Auftakt zum Vernichtungskrieg“ spricht am 23.Oktober der Historiker Jochen Böhler im Haus der Geschichte.
Dass Erinnerungsarbeit eine „dauernde Zukunftsaufgabe“ ist, ergibt sich für Frenzel und den stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Detlef Claus auch durch aktuelle Geschehnisse.
Beide erinnerten an die Anschläge von Unbekannten, die „Stolpersteine“ ausgegraben und damit in der Region Starkenburg die Fensterscheiben eines Rathauses eingeworfen hatten. Über diese Vorgänge
sei man besorgt.
„Wir erwarten, dass die Polizei hier intensiv, rasch und sorgfältig ermittelt, rechtsextreme Gewalt ist kein Kavaliersdelikt und darf nicht verharmlost werden“, sagte Claus.
Aus: FAZ vom 24. Februar 2014
Bedeutende Bürger, fast vergessen
Stadtgeschichte – Martin Frenzel erinnert an einstmals bekannte Darmstädter Juden
Der Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge, Martin Frenzel, sprach im Justus-Liebig-Haus über die Darmstädter Juden Hugo Bender, Julius Goldstein, Sigmund Gundelfinger, Friedrich Gundolf, Benno Joseph und Otto Wolfskehl sowie über den Judenretter Otto Busse.
„Es gibt bedeutende Darmstädter, an deren Namen sich kaum noch jemand erinnert“, befürchtet der Historiker Martin Frenzel, „obwohl sie weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt waren.“
Der Förderverein Liberale Synagoge, dessen Vorsitzender er ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an diese Menschen wachzuhalten.
Bei der letzten Veranstaltung im „Jahr gegen das Vergessen“ sprach er am Donnerstagabend im Justus-Liebig-Haus über „Vergessene Darmstädter Juden und einen unbekannten christlichen Judenretter“.
Tod in Theresienstadt
Bezeichnenderweise waren es jüdische Rechtsanwälte, die kurz nach der Machtergreifung der Nazis das Recht verloren, ihre christlichen Mitbürger vor Gerichten zu vertreten. Zu ihnen gehörte der
renommierte Anwalt Benno Joseph, der 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt umkam. Dem Justizrat Hugo Bender gelang noch die Flucht ins Exil; er starb 1941 in England.
Die neue Regierung war umso mehr bemüht, jede Erinnerung an frühere jüdische Bewohner Darmstadts auszulöschen, je nachhaltiger sie hier gewirkt hatten. Kaum noch bekannt ist beispielsweise einer
der bedeutendsten Soziologen der zwanziger Jahre, der Philosoph Julius Goldstein (1873-1929), der seit 1921 Chefredakteur der Darmstädter Zeitung war.
Ebenso prominent erwähnt Frenzel den Mathematiker und Geheimen Hofrat Sigmund Gundelfinger (1846-1910). Seinen Sohn Friedrich Gundolf (1880-1931), der gemeinsam mit Heinrich George eine zehnbändige Shakespeare-Ausgabe herausbrachte, nennt er „einen der meistgelesenen Germanisten der Weimarer Republik.“
Der Bankierssohn Otto Wolfskehl (1841-1907) klingt hingegen vielen Darmstädtern vertraut in den Ohren. Das liegt am „Wolfskehlschen Garten“ mit dem Teehäuschen in Bessungen.
Er war Mitbegründer des Bauvereins, saß in der Stadtverordnetenversammlung und im Hessischen Landtag. In der Vergangenheit war die heutige Goebelstraße nach ihm benannt, weswegen sich der Förderverein h dafür einsetzt, dass wieder eine Straße nach Wolfskehl benannt wird.
Ein „Gerechter unter den Völkern“
Fast völlig vergessen ist der Name des Christen Otto Busse, der von 1949 bis 1969 eine leitende Stellung bei Henschel & Ropertz innehatte. Ähnlich wie Schindler beschäftigte er in seinem Malerbetrieb im polnischen Bialystok während des Krieges Juden aus dem dortigen Ghetto.
Den Partisanen in den umliegenden Wäldern besorgte er Medizin, Kleidung und Waffen. Für ihn als „Gerechten unter den Völkern“ wurde im israelischen Yad Vashem ein Baum gepflanzt.
Im Land der Täter fühlte er sich schon bald nicht mehr wohl und ging als Nichtjude 1970 nach in Israel. An seinem Haus brachten ehemalige Partisanen eine Tafel an: „Allen Gewalten zum Trotz –
unserem Widerstandskämpfer Otto Busse“.
30.11.2014 DARMSTÄDTER ECHO
DARMSTÄDTER ECHO
„Auf die Haltung kommt es an“
Pogromnacht – „Puzzle der Erinnerungen“ rekonstruiert den 9. und 10. November 1938
Ein Gespräch mit Zeitzeugen bildete am Dienstag den Abschluss des Gedenkwochenendes des Fördervereins liberale Synagoge anlässlich der Novemberpogrome 1938.
Mehrere Versuche hatte es gebraucht, bis die Orthodoxe Wickopsche Jugendstilsynagoge – damals hieß sie „Kleine Synagoge“ – in der Bleichstraße in Flammen stand: Am Vormittag des 10.
November 1938 brannte sie lichterloh.
Als Nächstes nahmen sich die Nazis die Liberale Synagoge auf dem heutigen Klinikumsgelände vor, deren Prachtbau bei den Novemberpogromen dem Boden gleichgemacht wurde. Mit der Eberstädter Synagoge wurde das dritte jüdische Gotteshaus im Stadtgebiet zerstört. Es folgten Wohn- und Geschäftshäuser. 169 jüdische Darmstädter wurden in Konzentrationslager gebracht.
Berichte von Zeitzeugen
All das erfahren die etwa 70 Zuhörer zum Auftakt der Gedenkveranstaltung im Justus-Liebig-Haus von Christof Dipper, TU-Professor und NS-Forscher: „Obwohl im Staatsarchiv kein Blatt den Krieg
überlebte, wissen wir über die Pogrome in Darmstadt gut Bescheid.“ Was jedoch weder Archivmaterialen noch Prozessunterlagen oder Geschichtsbücher ersetzen können, sind die Erinnerungen von
Zeitzeugen.
„In einem Puzzle der Erinnerungen wollen wir uns dem Jahr 1938 nähern“, so Martin Frenzel, Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge, der kurz nach der Gründung 2011 nach Zeitzeugen
suchte.
Einer von denen, die von ihren Erlebnissen erzählen, ist Wilhelm Wannemacher, Jahrgang 1927: „Meine Schwester, Ilse und ich sind immer zum Mühlchen schwimmen gegangen. Eines Tages hing dort ein Schild: „Jud’ bleib draus, bad’ zuhaus’. Ilse ist heulend nach Hause gelaufen. In diesem Augenblick habe ich eine Kinderfreundin verloren und nie wieder gesehen.“
Diese Erinnerung geht den brennenden Synagogen voraus. Denn „1938 waren tiefe Gräben zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Bevölkerung aufgerissen. Nur so lässt sich der geringe Widerstand erklären“, erklärt Dipper. Die Synagogen brannten – und viele schauten zu. „Es geschah im Beisein des Regimes.“
Daran erinnert sich auch Irmgard Friedrich, damals acht Jahre alt: „’Warum löscht die Feuerwehr nicht?’ habe ich meine Mutter gefragt, das konnte ich nicht verstehen. 'Die werden halt nicht dürfen’, antwortete sie darauf,“ berichtet sie.
„Eine schweigende Menge stand da neben der brennenden Synagoge“, erzählt Fritz Deppert, der als Fünfjähriger an der Hand seines Vaters die Pogrome erlebte. „Was sie gedacht haben, weiß ich nicht. Schon gar nicht als Kind. Aber dieses Schweigen, das ist mir im Kopf geblieben.“
Andere schwiegen nicht: Wilhelm Wannemacher, Schüler am Liebig-Gymnasium, weiß von einem Lehrer, der Mut bewies: „Ich habe von der Synagoge ein Bündel verbranntes Papier mitgenommen. Ich konnte es nicht lesen und habe es daher meinem Lehrer, Dr. von der Au, gezeigt. “
Dieses Unrecht wird sich einmal bitter rächen’ sagte der“, erinnert sich Wannemacher. „Die Haltung von Dr. von der Au kann uns heute ein Vorbild sein: Wir können viel reden, aber worauf es wirklich ankommt, das ist unsere Haltung.“
DE 14.11.2013
Zweifache Hommage an Rabbi Julius Landsberger:
Zeichen für Demokratie und Toleranz
Initiator Förderverein Liberale Synagoge weiht gemeinsam mit der Stadt Julius-Landsberger-Gedenktafeln ein. Der Verein sammelt in zwei Jahren 6.000 Euro an Spenden.
Auf Initiative des Fördervereins Liberale Synagoge fand am 8. November 2013 die offizielle Einweihung der beiden Julius-Landsberger-Gedenktafeln auf dem Julius Landsberger-Platz
(Klinikumsgelände) statt.
Es waren über 100 Menschen zu dieser besonderen Gedenkveranstaltung gekommen, darunter etliche ehemalige, von den Nazis gewaltsam aus ihrer Heimat vertriebene jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Der Verein hatte zuvor zwei Jahre lang im Rahmen seiner Benefizkampagne „Darmstadt braucht eine Julius-Landsberger-Gedenktafel“ die beiden Gedenktafeln konzipiert und für sie rund 6.000 Euro an Spenden aus der Bürgerschaft, von Stiftungen und Unternehmen gesammelt.
Martin Frenzel, Gründer und Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge, der bereits 2011 die Idee zu dieser zweifachen „Hommage an einen vergessenen Rabbiner“ hatte, erinnerte als Initiator beiden Gedenktafeln in seiner Ansprache an jenes vernichtete liberale Reformjudentum, das bis 1933 die Mehrheit auch in Darmstadt bildete und durch den Holocaust „unwiederbringlich verlorengegangen“ sei.
Landsberger sei als charismatischer, kenntnisreicher Thora-Gelehrter und Orientalist heute Sinnbild für Weltoffenheit, Toleranz und Klugheit.
Frenzel sagte, es gehe dem Förderverein Liberale Synagoge mit den beiden Aluminium-Gedenktafeln um ein „sichtbares, zweifaches Zeichen für Demokratie und Toleranz“.
1938 – das sei die Verfolgung von Deutschen jüdischen Glaubens durch Deutsche christlichen Glaubens gewesen.
„Diese Menschen waren deutsche Staatsbürger“, so Martin Frenzel über die Opfer. Der Antisemitismus sei leider keineswegs passé, im Gegenteil: Die Antisemitismus-Studie der Bundesregierung habe alarmierende Zahlen zutage gefördert. Jeder fünfte Deutsche gelte demnach zumindest als latent judenfeindlich.
„Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ – dies sei, so der Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge weiter, die zentrale Lehre der „Katastrophe vor der Katastrophe 1938“, als Darmstadts Synagogen brannten und „das Leben der jüdischen Darmstädterinnen und Darmstädter zerbrach“.
Er kündigte eine neue Benefizaktion seines Vereins an: So werde man ab sofort Spenden für eine neue Otto Wolfskehl-Gedenktafel fürs Frühjahr 2014 zu Ehren des großen deutsch-jüdischen Darmstädters (1841 – 1907) und seiner Familie sammeln – „denn eine solche Hinweistafel fehlt bislang völlig im Wolfskehlschen Garten“.
Martin Frenzel dankte an allen Spendern – nicht zuletzt vielen Darmstädter Bürgerinnen und Bürgerinnen, die beide Gedenktafeln ermöglicht hätten. Der Förderverein Liberale Synagoge wolle mit seiner Hommage an den vergessenen Großherzoglichen Rabbiner Dr. Julius Landsberger einen Beitrag leisten zum kulturellen, kollektiven Gedächtnis der Stadt.
Und er zitierte Richard von Weizsäcker: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“
Das Kunstwerk Roeses zeigt den in 16 Teilen zerquaderten Kopf des Rabbis Landsbergers. Die zweite Gedenktafel „Zukunft braucht Erinnerung“ präsentiert seine Vita (1819-1890), ein Porträt-Litho und ein Foto „seiner“ Liberalen Synagoge von 1876.
Der Darmstädter Bildhauer Gerhard Roese (51) übergab Moritz Neumann zudem ein kostbares Landsberger-Buch aus dem Jahre 1874. Zum Schluss spielte Irith Gabriely das Klezmer-Stück "Adon Olam" („Herr der Welt“). Es dient regelmäßig als ein heiteres Schluss-Gebet für jeden Sabbat Gottesdienst.
Aus: DARMSTÄDTER TAGBLATT vom 14. Februar 2014
Freigeschaufelte Vergangenheit
Stadtgeschichte – Der Förderverein Liberale Synagoge erinnert an „Zehn Jahre Fund und die Folgen“
Bei Aushubarbeiten für einen Neubau auf dem Gelände des Klinikums wurden 2003 Reste der Liberalen Synagoge entdeckt. Der damalige Oberbürgermeister Peter Benz ließ die Baumaßnahmen stoppen.
An die Reaktionen von damals wurde am Dienstagabend im Liebighaus erinnert.
Die 1876 eingeweihte und 1933 in der Reichspogromnacht niedergebrannte Liberale Synagoge in der Friedrichstraße zählte zu den höchsten und prächtigsten Gebäuden Darmstadts.
Dank ihrer vier imposanten Türme und ihres außergewöhnlichen Baustils war sie ein beliebtes Postkartenmotiv. Umso verwunderlicher ist es, dass ihr Standort nach der Zerstörung fast in Vergessenheit geriet.
Pfarrer Rüdiger Grundmann schilderte am Dienstagabend im Liebighaus, wie es zur „wundersamen Wiederentdeckung“ (Martin Frenzel) ihrer Überreste kam.
Grundmann hatte aus einem Buch erfahren, dass die Synagoge auf dem Gelände des heutigen Klinikums gestanden hatte. Als er 2003 eine Bekannte im Krankenhaus besuchte, fiel sein Blick auf das Areal, auf dem ein neues Krankenhausgebäude errichtet werden sollte. Er fürchtete, dass dabei Reste der Synagoge vernichtet werden könnten, und verständigte die jüdische Gemeinde.
Die Entscheidung von Oberbürgermeister Peter Benz, die Bauarbeiten nach Bergung der ersten Fundstücke sofort ruhen zu lassen, stieß vor allem bei den Chefärzten, die sich den Neubau dringend
wünschten, auf Widerstand.
Alle Baupläne mussten noch einmal kosten- und zeitaufwendig überarbeitet werden. Die Folgen: sechs Jahre Bauverzögerung, acht Millionen Euro Mehrkosten für den Neubau und eine Gedenkstätte.
Die freigeschaufelten Fundamente sind jetzt in der Gedenkstätte im Neubau für Innere Medizin, einem stützenfreien Ort mit außergewöhnlicher Lichtführung, zu sehen.
Zehn Jahre nach der Wiederentdeckung der Überreste sprach Martin Frenzel, Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge, mit den Verantwortlichen von damals über die damaligen Ereignisse.
Zum Einstieg in das Podiumsgespräch zeigte Florian Steinwandter-Dierks seinen beeindruckenden Dokumentarfilm „Wenn Steine aus der Mauer schreien“, der die Bedeutung der Liberalen Synagoge für Darmstadt bewusst machte und die Zeitzeugen Wilhelm Wannemacher und Klaus Lingelbach zu Wort kommen ließ, die sie im Feuerschein zusammenstürzen sahen.
Für Peter Benz, den damaligen Stadtbaurat Dieter Wenzel und den stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher Ludwig Achenbach war der Bau der Gedenkstätte eine der wichtigsten Erinnerungsarbeiten
in dieser Stadt.
Architekt Jörg Friedrich (Hamburg) konnte sich nicht mehr daran erinnern, anfangs „not amused“ über die massiven Umplanungsarbeiten gewesen zu sein. Er fand es im Nachhinein merkwürdig, dass das Grundstück bei der Ausschreibung als schadstoff- und altlastenfrei bezeichnet wurde.
Der damalige Verwaltungsdirektor des Klinikums, Rainer Greunke, sprach von einer „riesigen Herausforderung“, die damals auf ihn zukam, von Chefärzten, die auf die Barrikaden gingen, und
davongaloppierenden Baukosten.
Es sei ein dorniger Weg gewesen, der ein positives Ende gefunden habe.
Alle Gesprächspartner waren sich mit der früheren Landesministerin Ruth Wagner und Daniel Neumann von der Jüdischen Gemeinde darin einig, dass sich der konsequente Einsatz für die Gedenkstätte
gelohnt hat.
Wagner nannte es eine Verpflichtung, Spuren jüdischen Lebens zu erhalten.
Neumann sagte, man könne Schülern hundertmal von Auschwitz erzählen, aber das Gefühl, dass sich an einem solchen Ort einstelle, sei viel packender. Er wünscht sich, dass noch viel mehr junge Leute als bisher diese in Hessen einmalige Gedenkstätte für eine besondere Synagoge kennenlernen, „um Vergangenheit in der Gegenwart zu erleben und der Zukunft vorzubeugen“.
DARMSTÄDTER ECHO 10.Oktober 2013 (von Petra Neumann-Przystaj
DARMSTÄDTER ECHO, Feuilleton:
10. Mai 2013 beg
Freier Geist in Gefahr
Geschichte – Vortrag erinnert an Vertreibung eines jüdischen Buchhändlers aus Darmstadt
DARMSTADT.
Die Bücherverbrennungen im Frühjahr 1933 waren öffentliche Ereignisse. In Darmstadt organisierte am 21. Juni zur Sonnenwendfeier die nationalsozialistische Studentenschaft einen Marsch durch die Stadt, flankiert vom SA-Spielmannszug, über den „Adolf-Hitler-Platz“ (so hieß damals schon der Luisenplatz) zum Bismarckturm bis zum damaligen Stadtbad, heute Jugendstilbad.
Dort gingen die eingesammelten Bücher in Flammen auf, eine 2003 in den Boden eingelassene Gedenkplatte erinnert daran.
„Das waren keine Veranstaltungen im Verborgenen“, sagte Fritz Deppert am Dienstag im Literaturhaus in seinem Vortrag über die Bücherverbrennungen. Tausende seien mitgelaufen, der Zug ging mitten
durch die Stadt. Auch die Medien spielten mit. Am 9. März 1933 stand im Darmstädter Tagblatt: „Der Reinigungsprozess läuft“.
Der Versuch, jede Form der Kritik im Keim zu ersticken, ist symptomatisch in Diktaturen.
Im Haus Rheinstraße 24, Ecke Saalbaustraße, herrschte ein anderer Geist. Der Buchhändler Alfred Bodenheimer, Sohn einer angesehenen jüdischen Arzt- und Kaufmannsfamilie in Darmstadt, eröffnete hier seine „Bücherstube“ mit neuem Konzept, das auf Kommunikation und Begegnung angelegt war. Bodenheimer selber, „eine noble Erscheinung“, wie Robert d’Hooge urteilte, der im Einvernehmen mit Bodenheimer die Buchhandlung 1937 übernahm, war mit zahlreichen Literaten befreundet; so mit Kurt Tucholsky, den er neben vielen namhaften Schriftstellern nach Darmstadt einlud.
Seine Buchhandlung, berichtete Martin Frenzel vom Förderverein Liberale Synagoge, kam ohne Ladentheke aus. Stattdessen gab es Tee für Studenten und Bücherfreunde, die in der „Bücherstube“
diskutierten, mit dem Buchhändler plauderten oder auch in den rot ausgeschlagenen Sesseln die Bücher lasen, die sie sich nicht leisten konnten.
Bodenheimer veranstaltete Konzerte und stellte Zeichnungen von Käthe Kollwitz und Werke von Picasso aus.
Bodenheimer wurde nach der Pogromnacht mit 169 weiteren Darmstädter Juden ins KZ Buchenwald abtransportiert.
Nachdem er nach einigen Wochen wieder entlassen wurde, floh er in die USA, wo er sich in Baltimore niederließ. Dort schlug er sich als Bürstenverkäufer durch und starb verarmt an einem Herzleiden.
Bislang erinnert eine Tafel an dem Gebäude Rheinstraße 24 an die „Bücherstube Alfred Bodenheimer“. Frenzel schlug vor, den Marienplatz in „Alfred-Bodenheimer-Platz“ umzubenennen: in der
Literaturstadt Darmstadt könne dies Mahnung und zugleich ein würdiges Andenken sein.
DARMSTÄDTER ECHO
21. März 2013 | Von Paul-Hermann Gruner
Filmen als Ehrenamt: Dokumentation über die Liberale Synagoge
Geschichte – Regisseur und Produzent Florian Steinwandter-Dierks und seine Dokumentation zur Liberalen Synagoge
DARMSTADT. Einen Film über ein Gebäude zu drehen, dass es nicht mehr gibt – das habe ihn gehörig gereizt, gibt Florian Steinwandter-Dierks unumwunden zu. Der 40 Jahre alte Darmstädter griff also
im Frühjahr 2012 zum Telefon, rief Martin Frenzel an.
Im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Fördervereins Liberale Synagoge war nach kurzem Dialog die Absicht beschlossene Sache: ein Dokumentarfilm über die Liberale Synagoge.
„Wenn Steine aus der Mauer schreien“ ist also keine Auftragsproduktion des Vereins, sondern die Kooperation zweier engagierter Ehrenamtlicher. So viel Ehrenamt ist selten beim Film.
Entweder gibt es Finanzmittel aus der Filmförderung oder vom Auftraggeber. Hier gab es weder noch. Aber Steinwandter-Dierks war zunächst auch der Ansicht, er drehe einen fünfminütigen Digitalfilm.
Aber erstens kommt es anders, als man will, und zweitens muss man Chancen nutzen: Martin Frenzel sorgte für Zeitzeugen und vermittelte Interviews mit Politikern und Experten für den Filmemacher.
So wurden aus den fünf sehr schnell dreißig Minuten. Und bei denen blieb es nur dank ausgeprägter Disziplin: „Aus sechzehn bis siebzehn Stunden Material“, so der Regisseur, habe man auswählen
können. Innerhalb eines Jahres entstand in sechs Wochen Arbeit (Skriptentwicklung, sieben Drehtage, eine Woche Schnitt) der Film mit dem Titel „Wenn Steine aus der Mauer schreien: Die Liberale
Synagoge – Zukunft braucht Erinnerung“.
Der Haupttitel ist ein Zitat aus den Briefen „zur Beförderung der Humanität“ des aufklärerischen Dichters und Philosophen Johann Gottfried Herder (1744-1803).
Tatsächlich befasst sich der Film vergleichsweise eingehend mit – Steinen. Das Meiste, was von der Liberalen Synagoge übrig blieb, sind jene Teile des gemauerten Fundaments, die auch heute noch in der im Klinikumsneubau eingerichteten Gedenkstätte zu sehen sind.
Weil man aber ein Gebäude, das nicht mehr existiert, schwer filmen kann und nur begrenzte Zeit Fotos, Steine, Fensterreste, kleine Messing-Fundstücke oder Teile der angebrannten Thora-Rolle als
Ersatz dienen können, geht der Film produktive Umwege in der Beschreibung des einst so eindrucksvollen Sakralbaus.
Einer der Umwege führt über den ehemaligen Großherzoglich-Hessischen Landesrabbiner Julius Landsberger. Dieser hatte 1876 auch die Einweihung des Gotteshauses vorgenommen.
Ein anderer Umweg sind Erfahrungen von Zeitzeugen wie Wilhelm Wannemacher oder Klaus Lingelbach. Als die Synagoge in der Nacht zum 10. November brannte, ging Vater Lingelbach mit seinem
sechsjährigen Sohn zur Bleichstraße: „Da gehe mer mal gucke.“ Und sie sahen, wie die Feuerwehr herumstand und nicht eingriff. Der Vater, Sozialdemokrat, habe sofort von Brandstiftung gesprochen,
erinnert sich Klaus Lingelbach.
Und einen Satz seines Vaters, auf dessen Schultern er gesessen habe beim Blick in die Flammen, habe sich ihm fast wörtlich eingeprägt: „Das kann kein gutes Ende nehmen, wenn man Gotteshäuser anzündet.“
Dritter Umweg: der Blick auf die Wiederentdeckung der Synagogenreste 2003. Vierter Umweg: Die Gänge zum Modell der Altstadt und der Liberalen Synagoge, angefertigt von Christian Häussler, zum
Jüdischen Museum in der Neuen Synagoge, zum „Denkzeichen Güterbahnhof“, das an die Deportation aus der damaligen Landeshauptstadt Darmstadt erinnert.
Mit seiner durchweg eleganten Filmsprache, dem Einsatz der Filmmusik (bedeutungstragende Klavierthemen meist) und der erklärend und überleitend eingesetzten Off-Stimme (von ZDF-Redakteur
Christoph Schreiner) gelingt Steinwandter-Dierks ein formal routiniertes, in seiner Expressivität empathisches Porträt nicht nur eines Gebäudes – sondern auch eines Stadtbildes, eines
Zeitgeistes, einer Verlusterfahrung.
Es soll künftig auch Schulen zur Verfügung stehen. Und verdiente allemal einen angemessenen Sendeparkplatz beim Hessischen Fernsehen.
Vorführtermine
Der Film „Wenn Steine aus der Mauer schreien“ ist in diesem Jahr noch mehrfach zu sehen, zwei Termine stehen fest: am 8. Oktober und 12. November , jeweils 19.30 Uhr im Justus-Liebig-Haus. Schulleitungen oder Lehrer, die Interesse an Filmvorführungen haben, wenden sich direkt an Martin Frenzel, Telefon 06151 99 26 804 oder 0176 249 858 79.
| Julius Landsberger zu Ehren |
21. März 2013 | paul
Julius Landsberger zu Ehren
Im Dokumentarfilm zur Liberalen Synagoge hat auch der einstige Großherzoglich-Hessische Landesrabbiner Julius Landsberger (1819-1890) seinen Platz. Der Förderverein Liberale Synagoge möchte am
Landsberger-Platz noch in diesem Jahr eine Gedenktafel zu Ehren des Rabbiners anbringen. Und startet hierfür eine Benefizkampagne. Erste Aktion: Eine musikalische Lesung mit Iris Stromberger,
Irith Gabriely und Peter Przystaniak am Sonntag (24.) im Bessunger Jagdhofkeller. Beginn: 19.30 Uhr. Mehr Infos unter www.liberalesynagoge-darmstadt.de.
Filmen als Ehrenamt: Dokumentation über die Liberale Synagoge
Sie existierte seit 1876 und wurde 1938, vor rund 75 Jahren beim Novemberpogrom der Nationalsozialisten, geplündert, verwüstet, abgebrannt: die Liberale Synagoge Darmstadt in der Bleichstraße. Jetzt hat der Filmemacher Florian Steinwandter-Dierks eine Dokumentation über die Synagoge gedreht. „Wenn Steine aus der Mauer schreien“ heißt er und wurde am Donnerstag vorgestellt.
DARMSTÄDTER ECHO 22.03.2013
DARMSTÄDTER ECHO:
26. März 2013 | mand
Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun
Benefizaktion – Iris Stromberger liest im Jagdhofkeller Texte gegen Fremdenhass
Auf dem Bessunger Judenfriedhof befindet sich das Grab des fortschrittlichen Juden Julius Landsberger. Er war der erste Rabbiner der Liberalen Synagoge in der Friedrichstraße und nach ihm ist auch der Platz vor der Gedenkstätte auf dem Gelände der heutigen Städtischen Kliniken benannt. Dort möchte der Förderverein Liberale Synagoge mit einer Gedenktafel an den Orientalisten erinnern, wofür er derzeit Spenden sammelt.
Auftakt für die Spendenkampagne war am Sonntagabend eine Benefiz-Lesung mit Iris Stromberger und Irith Gabriely im gut besuchten Jagdhofkeller.
In „Weder noch“ besingt Iris Stromberger die Tragik des Migranten, der niemals ein Zuhause hat.
Dies trifft auch auf die Musikanten zu, weswegen sie mit Irith Gabriely Rücken an Rücken steht, die mit der Klarinette ihre melancholischen Worte umspielt. Es ist nicht das einzige Lied von Georg Kreisler, das im Jagdhofkeller erklingt.
Couplets wie „Der Weg zur Hölle“, in dem sie sich fragt, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie damals den Goldstein genommen hätte, sind eine der starken Seiten der Schauspielerin. Als Zugabe wird sie mit „Sie ist a herrliches Weib“ noch einen draufsetzen.
Über Irith Gabriely kann man den Darmstädtern kaum etwas Neues erzählen: Geboren in Haifa kam sie vor über 35 Jahren in die Heinerstadt, um 17 Jahre im Orchester des Staatstheaters zu spielen. In
dieser Zeit gründete sie „Colalaila“ (die ganze Nacht) als erste Klezmer-Rock-Band mit E-Bass. Für Duo-Auftritte tat sie sich 1990 mit dem Pianisten Peter Przystaniak zusammen, der sie auch am
Sonntag begleitete. Trotz ihrer zahlreichen Projekte ist sie immer die Klezmer-Musikantin geblieben, und wenn sie mit ihrer jauchzenden Klarinette über das Podium tanzt, scheint die Zeit
stillzustehen.
Im Gegensatz dazu verlangen Iris Strombergers Rezitate, konzentriert zuzuhören. Ein Märchen von Wolfgang Weyrauch oder auch Bertolt Brechts Worte der Mutter Courage, die fassungslos ist,
angesichts der Verwüstungen des Krieges. Fritz Depperts „Schiefauge Rotkopf“ ist ebenso dabei wie die „Gitarre des Herrn Hattunoglu“ von Heinrich Hannover.
„Wenn jeder eine Blume pflanzte“
Texte von Cordelia Edvardson sind zu hören, die „das Lächeln Jerusalems am honiggelben Nachmittag“ beschreibt, Peter Härtlings Gedanke, was wäre, „wenn jeder eine Blume pflanzte“, Erich Frieds
„Gespräch mit einem Mitläufer“ oder Lessings Parabel vom Schaf, das gegenüber Zeus beteuert, es sei besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun.
Bei der Zugabe blitzt wieder der Schalk aus den Augenwinkeln von Irith Gabriely, als sie die Zuhörer mit einer variantenreichen Version von Benny Goodmans „You smile and the Angels sing“ (Wenn du
lachst, höre ich die Engel singen) in den winterlichen Abend entlässt.
Termine
Auf Anregung des Fördervereins wird am 21. April (Sonntag) um 17 Uhr in der Kunsthalle Darmstadt die Ausstellung „Elsbeth Juda – Bauhaus und Neues Sehen“ eröffnet. Am 25. April (Donnerstag)
spricht ab 19.30 Uhr im Evangelischen Gemeindezentrum Stadtkirchenplatz der Historiker Martin Frenzel über „Elsbeth und Hans Juda, Julius Goldstein und das liberale Reformjudentum in Darmstadt“.
DARMSTÄDTER ECHO, H.Pleines, 16.11.2012
Elsbeth Juda (101) lässt sich nicht von einem Besuch abhalten
Ein unglaubliches Pensum hat gestern Elsbeth Juda (101) absolviert, um bei der Stolpersteinverlegung für die Großmutter ihres Mannes dabei zu sein. Trotz ihres Alters kam sie per Flugzeug für
einen Tag von England nach Darmstadt.
Elsbeth Juda, geboren in Darmstadt am 2. Mai 1911, ist die Tochter des in der Weimarer Republik hoch angesehenen Philosophen Julius Goldstein, der einen Lehrstuhl an der TH Darmstadt innehatte und 1929 starb.
Goldstein, Mitglied der Liberalen Jüdischen Gemeinde, war der Begründer und Leiter des legendären „Morgen“, einer seit 1925 existierenden deutsch-jüdischen Zweimonatsschrift.
Seine Tochter Elsbeth war in ihrer aktiven Zeit eine angesehene britische Fotografin (berühmt für ihre Churchill- und Henry Moore-Fotos), Publizistin und Kunstsammlerin.
Im Alter von achtzehn Jahren ging Elsbeth Juda nach Paris und arbeitete dort als Sekretärin im Bankgewerbe.
1931 heiratete sie ihre Kindheitsliebe, den Journalisten Hans Juda (1904-1975). Das Paar zog nach Berlin, wo Hans eine Stelle als Finanzredakteur beim Berliner Tageblatt fand. 1933 wurden beide von den Nazis aus Deutschland vertrieben und flohen nach London.
Elsbeth Juda studierte Fotografie bei der ehemaligen Bauhaus-Fotografin Lucia Moholy (1894–1989), der Ehefrau des Künstlers László Moholy-Nagy (1895–1946). 1940 wurde Hans Juda Verleger und
Gründungsherausgeber des Magazins „The Ambassador“.
Elsbeth kam später als Modefotografin und Mitherausgeberin der Zeitschrift hinzu.
Jetzt sitzt Elsbeth Juda im Café Lotte in der Soderstraße und hat eine kleine Pause in ihrem Besuchsprogramm, das am Morgen mit dem Flug nach Deutschland begonnen hatte. Einen Besuch in der
Gedenkstätte Liberalen Synagoge, wo sie zu ihrer Freude am Touchscreen ein Bild ihres Vaters mit seiner Lebensgeschichte fand, und in der Kunsthalle hat sie bereits hinter sich.
Martin Frenzel vom Förderverein Liberale Synagoge will dort für April 2013 eine Fotoausstellung mit Bildern von Elsbeth Juda organisieren. Auch am Grab des Vaters war sie schon.
Der nächste Programmpunkt, Verlegung eines Stolpersteins für Karoline Strauss, Großmutter ihres Mannes, in der benachbarten Heidenreichstraße 4, hat noch ein wenig Zeit – Gelegenheit für
einen Plausch beim Tee.
Die rüstige alte Dame zählt eine ganze Reihe von Hobbys auf: Besuche von Ausstellungen, Konzerten, Malen, Kochen für Freunde. Belustigt berichtet sie, wie der Widerstandskämpfer Carlo
Mierendorff, der bei ihrem Vater ein- und ausging, sie als Vierzehnjährige heiraten wollte.
Ernst wird sie, wenn sie an die Stolpersteine denkt. „Ich bin überwältigt, dass man das nun macht. Es ist nie zu spät, um gut zu sein.“