Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Jury des Preises GESICHT ZEIGEN!
Sehr geehrte Mitglieder des Fördervereins Liberale Synagoge,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
"Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden."
"Es gab in Deutschland nicht nur den Nazi Hitler und den Nazi Himmler… Es gab Hunderttausende, Millionen anderer, die das, was geschehen ist, nicht nur durchgeführt haben, weil es befohlen war, sondern weil es ihre eigene Weltanschauung war. Leute, die ihren eigenen Nationalsozialismus verwirklichten..."
"Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, 'Nein' zu sagen."
All diese heute noch aktuellen Sätze stammen von Fritz Bauer, dem legendären Hessischen Generalstaatsanwalt und Vater des Frankfurter Auschwitz-Prozesses.
Wir vom FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. folgen dem Credo und radikaldemokratischen Vermächtnis Fritz Bauers. Leitidee ist dabei der Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Also nicht nur der christlichen Deutschen, sondern ALLER Menschen!
Wir fühlen uns verpflichtet, den seit 9. November 2009 bestehenden Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt, eine Gedenkstätte der Wissenschaftsstadt Darmstadt, durch unser vielfältiges ehrenamtliches, erinnerungskulturelles Engagement zu unterstützen.
Wir verstehen uns als Lobby für diesen einzigartigen Gedenkort im Besonderen, zugleich aber auch für eine aktive, geschichtsbewusste, innovative Erinnerungskultur im Allgemeinen. Wir wollen mit dazu beitragen, dass Darmstadt sich als lebendige Erinnerungsstadt versteht.
Oft, sehr oft werden wir gefragt: Sind Sie Juden oder warum machen Sie diese Arbeit? Die Leute sind oft bei unseren Rundgängen in der Gedenkstätte, bei unseren Abendveranstaltungen, Musik-, Film- und Podiums-Abenden, bei Ausstellungen und Aktionen überrascht, wenn Sie dann hören: Nein, wir sind überwiegend Evangelische oder Katholische Christinnen und Christen. Die meisten Mitglieder im Förderverein Liberale Synagoge gehören den beiden christlichen Konfessionen an. Aber gerade weil wir der christlichen Mehrheitsgesellschaft angehören, die sich in der Nazi-Zeit in der übergroßen Mehrheit alles andere als „christlich“ und nächstenliebend verhielt, fühlen wir uns verantwortlich für das, was geschehen ist.
Gestatten Sie mir als Gründer und Vorsitzender des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE einige Dankesworte:
Zunächst danke ich im Namen des Vorstands unseres Vereins der GESICHT ZEIGEN-Jury und Oberbürgermeister Partsch für diesen überraschenden Preis. Es war dies eine positive Überraschung.
Ich danke auch unseren beiden Mitgliedern Hanno Benz und Sandra Klein, die uns vorgeschlagen haben. Herzlichen Dank.
Ich danke aber auch den überlebenden Holocaust-Opfern von Howard Adler über unser Mitglied Uri Shalev bis hin zu Hanna Skop/Bernhard Posner und Elsbeth Juda, die bereit waren, uns ihre Geschichte zu erzählen. Erinnerungsarbeit, das haben wir in den vier Jahren des Bestehens unseres Vereins lernen müssen, geht wohl nicht schmerzfrei. Erinnerungsarbeit tut weh. Ich danke umso mehr den Zeitzeugen, die ihr Schweigen brechen. Und ich danke dem Filmemacher Florian Steinwandter-Dierks, den wir bei seinem sehenswerten Film „Die Liberale Synagoge: Wenn Steine aus der Mauer schreien“ maßgeblich unterstützt haben, für die sehr gute und stets faire und loyale Zusammenarbeit.
Großer Dank geht an zahlreiche solidarische Freunde und Unterstützer, allen voran Peter Benz, Ludwig Achenbach, Familie Deppert und Martin Geiling. Mein Dank geht auch an Klaus Feuchtinger und Familie Landzettel. Ich danke Daniel Neumann von der Jüdischen Gemeinde. Vor allem danke ich aber nicht zuletzt dem gesamten Vorstand – meine Stellvertreterin Barbara Ludwig ist heute hier, Professor Detlef Claus konnte leider nicht kommen - des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE und allen aktiven Mitgliedern unseres Fördervereins. Insgesamt sind wir über 50 Mitglieder, darunter etliche prominente Darmstädterinnen und Darmstädter. Mein Dank gilt auch unseren Finanzförderern, ohne die unsere ehrenamtliche Arbeit nicht möglich wäre.
Ich gebe zu: Als wir den FLS gründeten, haben wir unterschätzt, wieviel Arbeit, Zeit, Nerven und ehrenamtlichen Einsatz ein solcher Verein kostet. Wir sind eben nur ein kleiner, noch junger David-Verein, umgeben von lauter Goliaths. Wir machen viel, mit denkbar wenig Leuten. Ja, wir sind klein… – klein, aber oho.
Meine Damen und Herren, die „Jüdische Allgemeine“ hat uns mal die Anwälte der aktiven Erinnerungsarbeit genannt. Da ist etwas dran. Wir sind allemal Spurensucher und Detektive gegen das Vergessen.
Manche halten uns für „NESTBESCHMUTZER“, weil wir nicht nur an das vernichtete JÜDISCHE DARMSTADT der Otto Wolfskehls, Julius Landsbergers, Heinrich Blumenthals oder Julius Goldsteins, an Jüdische Frauen aus Darmstadt wie Lilli Wolfskehl, Marie Trier, Lilli Palmer, Gertrud Ullmann und Herta Mansbacher und Elsbeth Juda, also an jene Deutschen jüdischen Glaubens erinnern, die verfolgt, aus ihrer deutschen Heimat vertrieben und ermordet wurden. Sondern eben auch und gerade erinnern an die Tatsache, dass Darmstadt eine BRAUNE HOCHBURG war. Eine Stadt, die schon zu Zeiten der Weimarer Republik Best-Werte für die NSDAP aufwies, die die Stadt war eines Werner Best und eines Hans Stark.
Nein, meine Damen und Herren, wir sind keine NESTBESCHMUTZER, sondern im Gegenteil NESTREINIGER. Wir sind – wenn Sie so wollen – Whistleblower der Darmstädter Erinnerungskultur.
Und weil wir vom FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE das sind, lautet unser Motto: ZUKUNFT BRAUCHT ERINNERUNG – ganz im Sinne Fritz Bauers.
Das bedeutet auch, im Moment des Aufstiegs der Fußball-Lilien in die 2. Bundesliga gestern Nacht heute an den vergessenen Lilien-Präsidenten Karl Hess zu erinnern, den Präsidenten des SV Darmstadt 98 in der Weimarer Republik, der von den Nazis gewaltsam aus dem Amt gedrängt wurde, weil er Deutscher jüdischen Glaubens war. Oder an Howard (eigtl. Hans Siegfried) Adler, Jahrgang 1917, der beim SV Darmstadt 98 zu den Sport-Assen und Medaillengewinnern zählte, ehe man ihn von einem Tag auf den andern ausgrenzte und denunzierte… und der ins US-Exil vertrieben wurde. Mit Emigration hatte diese Heimatvertreibung der deutschen Juden übrigens nichts zu tun.
Wir sind eben kein reiner Geschichtsverein, sondern engagieren uns ehrenamtlich mindestens ebenso sehr für GEGENWART und ZUKUNFT – damit sich Gewalt gegen Minderheiten, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus nie wieder wiederholen. Dieses NIE WIEDER treibt uns im Förderverein Liberale Synagoge an. Wir sehen den wachsenden Antisemitismus, die wachsende, alltägliche Gewalt gegen Juden heute, den Hass, den gewaltbereiten Rechtsextremismus, die Stolperstein-Anschläge in unserer Region mit größter Sorge.
Deswegen sehen wir Erinnerungsarbeit nicht nur als Sonntagsreden-Aufgabe, sondern notwendiger Weise als DAUERNDE Zukunfts-Aufgabe. Als eine Aufgabe, die nicht nur an besonderen Jahrestagen oder in besonderen Monaten wie dem November ansteht. Sondern das ganze Jahr über. Wir vom FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE betreiben aktive Erinnerungsarbeit ganzjährig.
Das bedeutet auch: ZIVILCOURAGE ist auch und gerade in einer Demokratie überlebensnotwendig – als Gegengewicht zum Unwesen des Denunzianten- und Spitzeltums. Ohne die Bereitschaft zur Denunziation und zur Anschwärzung Dritter wäre die NS-Diktatur nicht möglich gewesen. Heute nennt man das neudeutsch Mobbing. Das hat hellsichtig, schon vor über 100 Jahren, der dänische Literat und Deutschland-Kenner Georg Brandes erkannt… So schrieb der dänisch-jüdische Kosmopolit Brandes bereits 1881 (!) über die deutschen Zustände: „Wenn erst Reaktion und Chauvinismus den NEID und die ROHHEIT des einfachen und des feinen Pöbels entfacht haben, tritt ein Phänomen ein, das zahlreiche Entsprechungen in anderen Bereichen hat und sich am besten als geistige Seuche bezeichnen lässt. Urplötzlich wird ein ganzes Volk von einer Manie gepackt, urplötzlich handeln Hunderttausende von Menschen wie Besessene. Wie viele Parallelen gibt es in unserer Zeit zur Flagellantenraserei des Mittelalters!“ Georg Brandes schrieb dies hellsichtig zu einer Zeit, als hier in Darmstadt der Großherzog regierte und die Darmstädter Antisemiten-Partei bei den Reichstagswahlen erschreckende über 20% einfuhr.
Meine Damen und Herren, auch das ist uns wichtig: Innovative Erinnerungsarbeit muss, wie der Historiker Norbert Frei bei einem Vortrag unseres Vereins sagte, Erinnerungsarbeit muss VON UNTEN kommen, sollte nicht von oben verordnet werden – ist, so gesehen, eine eminent basisdemokratische Aufgabe. Daher verstehen wir uns bewusst als Erinnerungsarbeits-NGO (Nichtregierungsorganisation). Deswegen sehen wir vom FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE unsere ehrenamtliche Freiwilligenarbeit als Beitrag dazu, mehr aktive Bürgerbeteiligung in Sachen Erinnerungsarbeit VON UNTEN zu wagen!
Eine zentrale Lehre der deutschen Geschichte, als Deutsche christlichen Glaubens Deutsche jüdischen Glaubens verfolgten, entrechteten, von Staats wegen beraubten, vertrieben und vernichteten: Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Ganz im Sinne von mutigen Darmstädter Widerstandskämpfern wie Carlo Mierendorff.
Wir vom FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE machen jetzt – nach unserer erfolgreichen Idee und Initiative des neuen Julius-Landsberger-Platzes und der beiden Gedenktafeln 2011 und 2013 und nach der Ausstellung der Foto-Meisterwerke Elsbeth Judas in der Kunsthalle – weiter: Wir wollen am 7. November 2014 eine Otto Wolfskehl-Gedenktafel im Bessunger Wolfskehlschen Garten verwirklichen. Und wir hoffen, dass uns dies mit Ihrer aller aktiven Unterstützung gelingt. - Ansonsten gilt, mit Fritz Bauer: Wir brauchen, heute mehr denn je, die Zivilcourage, 'Nein' zu sagen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.