Auf einer Kommunalmesse in München im Oktober 2003 erreichte mich die Nachricht, bei Ausschachtungsarbeiten zum Klinikneubau in der Bleichstraße/Friedrichstraße seien Fundamentreste entdeckt worden, die auf die 1938 von den Nazis zerstörte Liberale Synagoge hinwiesen. Kaleidoskopartig stürzten in diesem Augenblick auf mich ständig wechselnde Erinnerungen an den öffentlichen Umgang mit unserer Vergangenheit ein, Erinnerungen an Gedenkveranstaltungen an unterschiedlichen Orten in unserer Stadt.
Das 1954 errichtete Mahnmal am Kapellplatz entstand aus der Ruine der 1944 in der Brandnacht zerstörten Stadtkapelle. Es ist den Opfern des Luftkrieges gewidmet und erst 1995 wurde es um ein Bronzeensemble zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus erweitert. Wie oft stand ich hier und sprach, immer im Kopf das Motto meiner ersten Rede Anfang der 1970er Jahre: „Ich bin in Trümmern aufgewachsen“.
Erinnerungsmale an die Juden und ihre zerstörten Synagogen ließen leider auf sich warten. Ab den 1960er Jahren erinnert eine stilisierte Menora aus Edelstahl und eine Kupfertafel mit deutscher und hebräischer Inschrift auf dem abgeschlossenen Klinikgelände an die zerstörte Liberale Synagoge. Einmal im Jahr, zum 9. November, wurde der Gedenkort zugänglich gemacht. Die Gedenkstätte für die orthodoxe Synagoge in der Bleichstraße wurde noch später errichtet. Wenn ich hier die Gedenkreden hielt und der Rabbiner das Totengebet sprach, ließ ich die Bleichstraße für den gesamten Verkehr sperren. Die Veranstaltung durfte nicht zur Routine und en passant abgehalten werden, die Vergangenheit musste gegenwärtig bleiben. Es gab Menschen, die die Verkehrsbeeinträchtigung nicht einsehen mochten; sie wollten in ihrem Alltag und schnellem Vorankommen nicht gestört werden.
Der SPD-Stadtverordnete Rüdiger Breuer verstand nie, warum das offizielle Darmstadt am 9. November eines jeden Jahres des Judenpogroms gedachte, ohne sich die nahe liegende Frage zu stellen, ob es nicht an der Zeit sei, der jüdischen Gemeinde unserer Stadt eine Synagoge zu bauen und ihnen damit zurückzugeben, was Darmstädter einst zerstört hatten. Er bereitete 1983 einen entsprechenden Antrag für das Stadt-Parlament vor, der Unbehagen hervorrief. Druck wurde ausgeübt, von seinem Ansinnen zu lassen, der damalige Oberbürgermeister war diesem Vorhaben nicht wohlgesonnen. Für die kleine jüdische Gemeinde sei eine Synagoge zu groß und angesichts der schwierigen Finanzlage der Stadt sicher auch
in der Bevölkerung unpopulär, da schon Schulrenovierungen, Spielplätze und Kindergärten zurückstehen müssten. Mit Löwenmut schritt Rüdiger Breuer an das Rednerpult und erklärte, sein Projekt werde aus allen Fraktionen unterstützt und ein Kollege aus der CDU-Fraktion unterstütze ihn beim Aufbau der Bürgerinitiative „Synagoge 88“. Zu der an Gedenktagen viel beschworenen Erinnerungskultur gehöre Wahrhaftigkeit. Diesen Beweis könne jeder erbringen, wenn er für den Bau der Synagoge stimme. Der Beschluss erfolgte dann doch einstimmig. Am 9. November 1988 konnte die Synagoge in der Wilhelm-Glässing-Straße eingeweiht werden.
Eingedenk all dieser Erinnerungs-Bilder entschied ich, die gefundenen Mauerreste der Liberalen Synagoge zu erhalten und sie zu einer öffentlichen Erinnerungsstätte gestalten zu lassen. Der Stopp der weiteren Klinikbauarbeiten bis zur Sicherung der Funde war die zwingende Konsequenz.
Als ich zum ersten Mal zwischen den geschändeten Grundmauern der Synagoge stand, an ihnen schwarze Brandspuren sah, spürte ich den beißenden Rauch und nahm die knisternde Glut des verlöschenden Gotteshauses am 9. November 1938 wahr, ich sah die grölende und gaffende Menge um mich. Meine Beine gaben nach. Ich stützte mich auf Mauerreste. Ich frage mich immer wieder: Warum erhob niemand die Stimme gegen diese Barbarei? Hat es niemanden interessiert, wohin die Gemeinde verschwand, die hier gebetet hatte? Will wirklich niemand den langen Zug von Juden, Sinti und Roma gesehen haben, der entlang der Bismarckstraße zum Hauptbahnhof in aller Öffentlichkeit zum Abtransport geführt wurde? Man konnte und musste doch Bescheid wissen über Hänschen Cohn von nebenan, der nun plötzlich nicht mehr da war. Fragen über Fragen und ungenügende Antworten. Fragen, die gestellt werden müssen – fortwährend. Sie rechtfertigten den Stopp, die Bauverzögerung, die Kosten.
Antworten entluden sich in schlimmen Reaktionen, in offiziösen und offiziellen Stellungnahmen und Leserbriefen. Man sah die Patientenversorgung in Gefahr, der Tod von Herzkranken werde billigend in Kauf genommen, weil die „jüdische Trümmerkonservierung“ über das Leben gestellt werde. Die Juden hätten doch nun wieder eine Synagoge, für die man auch aus ehrlichem Herzen gespendet habe; nun sollten sie sich bescheiden, Steuerzahler müssten für eine Minderheit aufkommen. So ging es monatelang. Dumpfes Ressentiment, Zynismus, vermeintliche Judensympathie rührten sich zu einer Melange der entrüsteten Mediokrität zusammen.
Und wieder gab es viele, die sich nicht äußerten, stattdessen abwarteten, wie die heikle Angelegenheit wohl ende. In den offiziellen Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht in der Synagoge versicherte man gleichwohl Sympathie für das Gedenkprojekt.
Man sieht: Die Vergangenheit ist höchst lebendig. Wie gerade wieder erlebt, verdeckt die glatte Fassade des Alltags Tendenzen, die bei solchen Ereignissen ungeniert an die Oberfläche gespült werden. Adorno hatte Recht, als er vor 50 Jahren schrieb, das Nachbeben solcher Tendenzen in der Demokratie sei potentiell gefährlicher denn das Nachbeben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Angesichts schlimmer Tendenzen zu Fremdenhass, Rassismus und neu-alter Judenfeindschaft braucht unsere Gesellschaft ein unverbrüchliches Bündnis für soziale Demokratie, Toleranz und Zivilcourage, um der dumpfen Gleichgültigkeit die Stirn zu bieten. Sie sind die Kardinaltugenden einer freiheitlichen Demokratie: Es geht um unsere Identität, um unser Verhältnis zur Vergangenheit. Solche Gedenkstätten sind die Wegzeichen unserer Demokratie.
Peter Benz
Ehemaliger Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt (1993-2005), u.a. Vorsitzender des Darmstädter Förderkreises Kultur und Vorstandsmitglied des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE
DARMSTADT e.V.
Aus: Martin Frenzel (Hg.): Eine Zierde unserer Stadt. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Liberalen Synagoge Darmstadt, Justus-von-Liebig-Verlag, Darmstadt, S.31-32
Sie galt, wie Darmstadts visionärer Stadtplaner und Schöpfer des heutigen Johannesviertels, Heinrich von Blumenthal, es sagte, als „Zierde der Stadt“: Jetzt will der 1958 geborene Modellbauer und Designer Christian Häussler die 1938 von den Nazis zerstörte Liberale Synagoge Friedrichstraße en miniature rekonstruieren.
Bis zum Sommer 2006 will Häussler die maßstabgetreu und filigran nachgeformte Liberale Synagoge im Miniaturformat wiederauferstehen lassen: Weil die Pläne von einst – im Gegensatz zur
Wickop’schen Orthodoxen Synagoge – unwiederbringlich verschollen sind, musste der passionierte Modellbauer in akribischer Detektivarbeit zunächst – mit Hilfe weniger zeitgenössischer Fotos und
Beschreibungen – Neue Aufrisse des prachtvollen jüdischen Gotteshauses fertigen.
Die vier symmetrischen Rundtürme, der roten Sandstein, sogar die auf Deutsch über den Portaleingängen stehenden Thora-Worte will Häussler, der vor zwei Jahren mit Arbeit begann, so Zug um Zug
rekonstruieren. Häusslers Modellbau-Leidenschaft fand bereits des öfteren ihren stadthistorischen Niederschlag: So stammt das Modell der Altstadt im Museum Hinkelsturm aus Häusslers
Modell-Manufaktur – und erst jüngst sorgte der Modellbau-Künstler mit fünf farbigen, ungemein plastisch-naturalistischen Vogelschau-Bildern zur Darmstädter Stadtentwicklung zwischen 900 und 1450
für einen höchst originellen Beitrag zum 675jährigen Stadtrechtsjubiläum der Wissenschaftsstadt.
Doch dieses Projekt der Liberalen Synagoge im Modell liegt Häussler besonders am Herzen: „Ich will damit die Erinnerung wach halten, es ist wichtig, dass man nachvollziehen kann, was dort, wo nur noch Überreste der Zerstörung stehen, einmal gestanden hat.“
Es sind Kunststoffplatten, die er zurechtschneidet und –fräst, samt einer gipsartigen Porzellanmasse, die die detailgetreue Nachbildung des imposanten Bauwerks von Kreisbaumeister Eduard Köhler und dessen Mitarbeiter Stephan Braden (1873-1876) sukzessive ermöglichen. So achtet Häussler, sich stützend auf historische Quellen wie das Skizzenbuch des „Mittelrheinischen Architecten- und Ingenieurvereins“ von 1875, auf Details wie die rote Sandsteinverkleidung, die ornamentale Farbigkeit im Innern, aber auch „den sternförmigen Abschluss auf den Rundungen der vier Ecktürme“. Die Zahl Sieben stehe symbolisch für die Schöpfung, erklärt Häussler.
Mit Airbrush „ganz zum Schluss“ schafft Christian Häussler dann jene suggestiv realitätsgetreue Wirkung, wie sie schon seine bisherigen Modelle prägte: Es ist, als sähe man die „wirkliche“ quasi im Lilliput-Format. Häussler wörtlich: „Es war mir schon immer ein Anliegen, ein Modell der Liberalen Synagoge zu schaffen, damit die Menschen sich vorstellen können, wie sie einmal aussah.“
Der für Denkmalschutz zuständige Dezernent Klaus Feuchtinger hob bei der Präsentation des vorläufigen Modells noch einmal die historische Mitverantwortung des Landes hervor: Demnach war die Reichspogromnacht von 1938, der deutschlandweit weit über 1.000 Synagogen zum Opfer fielen, keineswegs, wie die Goebbelssche Propaganda seinerzeit nahezulegen versuchte, ein „spontaner Akt des Volkszorns“. Vielmehr handelte es sich eine von höchster Stelle angeordnete, wohlkalkulierte Verfolgungs- und Zerstörungsaktion von Staats wegen.
„Darmstadt war damals Landeshauptstadt und deshalb muss das Land Hessen als Rechtsnachfolger auch zu seiner historischen und finanziellen Mitverantwortung stehen“, so Feuchtinger an die Adresse von Ministerpräsident Roland Koch. Feuchtinger weiter: „Die Klinik hat durch die Umplanung profitiert, es hat die Kreativität zusätzlich gefördert.“ Er betonte, dass es sich bei der für 2008 geplanten Gedenkstätte Liberale Synagoge nicht um ein jüdisches Denkmal handele, sondern um ein Mahnmal aller Darmstädterinnen und Darmstädter.
Die Überreste mit den von Brandspuren der Pogromnacht 1938 gezeichneten Bodenplatten seien auch eine Chance, „dass man die Katastrophe der Judenverfolgung noch so verspürt und sie für die heutige Generation erlebbar machen kann.“
Nikolaus Heiss, oberster Denkmalschützer der Stadt, verwies auf die erhaltenen Reste des Thora- und des Leseraums der einstigen Liberalen Synagoge und sprach mit Blick auf den erhaltenen Südwest-Teil des jüdischen Gotteshauses von einem „zweischichtigen Kulturdenkmal“, das in dieser Form hessenweit einmalig sei. Zum einen dokumentierten die Überreste die Baugeschichte von 1876, zum anderen die Zerstörung von 1938. Die künftige Erinnerungsstätte „Liberale Synagoge Friedrichstraße“ wird so in Zukunft den südwestlichen Turm der von den Nazis 1938 zerstörten Synagoge dokumentieren, Kellertreppen, Fundamente des Synagogenraums, aber auch an der Südseite Fundamente und Mauern des ehemaligen Thoraraums. Ein besonders beklemmendes Symbol der neuen Gedenkstätte, die sich problemlos in den Neuen Klinikbau integrieren lasse: die erhaltenen, deutlich von Brandspuren gekennzeichneten Bodenplatten aus dem Erdgeschoss, die im Zuge der Flammen des 10. November 1938 in den Keller gestürzt sein müssen. Es ist dies ein erschütterndes, materielles Zeichen der NS-Verbrechen. Heiss: „Das ist ein aus denkmalschützerischer Sicht wertvoller Fund mit Seltenheitswert.“
Gabriella Deppert, Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, erzählt auch von einer erschütternden Wiederbegegnung einer Holocaust-Überlebenden mit der Vergangenheit: Die geborene Darmstädterin Helga Keller, die heute in Israel lebt, war total berührt, als sie von der Wiederentdeckung der Überreste der Liberalen Synagoge erfuhr. Grund: Ihr Vater war einst Orgelspieler in diesem Gotteshaus.
Martin Frenzel
Aus: „DA FACTO, (ehemaliges) Internet-Journal der Wissenschaftsstadt Darmstadt“, vom 11. November 2005, www.dafacto.de, Artikel von Martin
Frenzel
Nach zweijähriger Präzisionsarbeit hat der Darmstädter Modellbauer Christian Häussler (48) sein Modell der einstigen Liberalen Synagoge in der Friedrichstraße fertiggestellt. Das prachtvolle Gebäude, 1876 von dem renommierten Darmstädter Stadtplaner und Schöpfer des Johannesviertels, Heinrich Blumenthal eingeweiht, war in der Reichspogromnacht 1938 von der SA völlig zerstört worden. Das Modell steht nun vorerst im Museum der Neuen Synagoge und soll voraussichtlich 2008 zum 70. Jahrestag der Pogromnacht 1938 in der geplanten Gedenkstätte Liberale Synagoge auf dem heutigen Gelände des Klinikums seinen endgültigen Platz finden. Oberbürgermeister Walter Hoffmann lobte Häusslers Werk als „ein detailgetreues Glanzstück, das die Erinnerung an Darmstadts reichhaltige jüdische Kultur wach hält.“
Wer das Synagogenmodell Häusslers betrachtet, bekommt einen guten Eindruck davon, wie das Gotteshaus in der Friedrichstraße einmal im Original ausgesehen haben mag: So entstehen nun die vier markanten, symmetrischen Rundtürme vor dem Auge des Betrachters neu, ebenso der rote Sandstein und die charakteristischen Ornamente der Liberalen Synagoge. Häussler, Jahrgang 1958, ist auf dem Gebiet erfahren: So schuf er ein Modell der Darmstädter Altstadt, das im Museum Hinkelsturm zu bewundern ist, und sorgte mit fünf farbigen, ungemein plastischen Vogelschau-Bildern zum 675jährigen Darmstädter Stadtrechtsjubiläum im Jahr 2005 für ungewohnte naturalistische Einblicke in die mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtentwicklung zwischen 900 und 1450.
Oberbürgermeister Walter Hoffmann lobte denn auch das Synagogenmodell als „gelungenes Gesamtkunstwerk für mehr Geschichtsbewusstsein, das auch Anschauungsunterricht im besten Sinne des Wortes für die Nachgeborenen bietet.“ Häusslers großartige Leistung könne man nur dann angemessen würdigen, wenn man sich vor Augen halte, „dass es – anders als im Falle der Orthodoxen Synagoge Wickops – eben keine Pläne der Liberalen Synagoge mehr gibt“, so Hoffmann weiter. „Christian Häussler hat also nicht nur das reine Modell geschaffen, sondern auch den Grundriss und die innere wie äußere Gestaltung in mühevoller Kleinarbeit Zug um Zug neu entstehen lassen.“
Er betonte, die Stadt werde alles tun, „damit wir im Jahr 2008 zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht die Gedenkstätte Liberale Synagoge einweihen können.“ Die Finanzierung des Projekts sei „alles andere als einfach, wir arbeiten aber einer guten Lösung.“ Hoffmann begrüßte ausdrücklich die „lobenswerte Initiative“ der Darmstädter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, zusätzliche Spenden von Privatleuten und Sponsoren wie Unternehmen und Banken einzuwerben.
Vor drei Jahren – im Oktober 2003 – kamen bei dem Aushub von Erde für den Neubau des Städtischen Klinikums Fundamentreste der Liberalen Synagoge zutage. Der damalige Oberbürgermeister Peter Benz verhängte einen sofortigen Baustopp, um die wertvollen Überreste zu schützen und zu sichern.
Der Darmstädter Modellbauer Christian Häussler begann denn auch – inspiriert durch diesen Fund – Anfang 2004 damit, ein maßstabgetreues Modell der Liberalen Synagoge zu erstellen. Er sammelte erste Pläne, Rekonstruktionszeichnungen, sprach mit Kennern der Materie. „Es ist von Anfang an meine Absicht gewesen, mit einem Modell den Ort, die wiederentdeckten Spuren einstiger jüdischer Geschichte erlebbar zu machen.“
Er wolle mit dem Modell zum einen „die Erinnerung an die jüdischen Wurzeln der Stadt erhalten“, zum anderen wolle er seine tiefempfundene Dankbarkeit vermitteln, „die ich empfinde, wenn trotz allem heute in Darmstadt wieder eine Jüdische Gemeinde lebt“, so Christian Häussler. So gesehen verstehe er sein Synagogenmodell auch als ein „Zeichen der Hoffnung“ mit Blick auf die jüdische Geschichte Darmstadt – vor und nach dem Holocaust, der auch und gerade in Darmstadt in besonders schlimmer Weise wütete.
Heutige Generationen können so am Modell sinnlich nachvollziehen, wie dieses imposante Bauwerk, das früher als „monumentale Zierde der Stadt“ galt, wohl vor der Zerstörung das Stadtbild prägte. Und das Resultat, die mit viel Akribie, Liebe zum Detail und handwerklichem Können filigraner Modellbaukunst gefertigte Version der Liberalen Synagoge im Liliput-Format erscheint rundum gelungen: Selbst feingliedrige Verzierungen der großen Fensterrahmen, aber auch in Vergessenheit geratene Details wie die richtungsweisende Worte des Propheten Jesaia über dem Eingang des ockerfarbenen Gotteshauses („Mein Haus soll ein Gebetshaus für ALLE Völker genannt werden“) zeigen, wie gut der gelernte Modelldesigner, im Hauptberuf Mitarbeiter des Instituts Mathildenhöhe, Form und Inhalt des Bauwerks erfasst hat.
Die Arbeit am Modell wurde von Anfang an durch die Stadt ideell und materiell unterstützt: So stellte sie Häussler für seine nach eigenen Worten „phasenweise zeitintensive Tätigkeit“ einen hellen, großen Atelierraum im ehemaligen Schulgebäude Riedeselstraße 15 zur Verfügung und übernahm die Materialkosten. Häussler dankte der Stadt für die stets wohlwollende Unterstützung, vor allem aber auch seiner Familie, die das in teilweise „langen Nächten“ in seiner knappen Freizeit entstandene Projekt toleriert hätten.
Nächtelang hat Häussler mit viel Herzblut am Modell gewerkelt: Kunststoffplatten zurechtgeschnitten und –gefräst, mit einer gipsartigen Porzellanmasse das Gotteshaus im Kleinformat neu geformt. Dank Airbrush „ganz zum Schluss“ (Häussler) erzeugt der Künstler eine verblüffend realitätsgetreue Wirkung. Man gewinnt das Gefühl, die „echte“ Liberale Synagoge sei aus den Trümmern wiederauferstanden. Er hoffe, sagt Christian Häussler bescheiden, „dass mein Modell der heutigen Generation etwas die ausgegrabenen Grundmauerreste der Liberalen Synagoge erklären hilft.“
In Wahrheit ist Häussler geglückt, die finsteren Ziele der Nazis zu durchkreuzen: Deren Ziel war es, jüdische Kultur und Geschichte für immer auszuradieren. Christian Häusslers Modell ist, so gesehen, ein stadtgeschichtlicher Beitrag wider das Vergessen, der das Prädikat „besonders wertvoll“ verdient.
Martin Frenzel
Veröffentlicht in: DA FACTO, ehemaliges Internet-Journal der Wissenschaftsstadt Darmstadt, vom 1. August 2006, www.dafacto.de , Artikel von Martin Frenzel.
Beide Artikel sind entnommen dem Buch: Martin Frenzel (Hg.): Eine Zierde unserer Stadt, Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Liberalen Synagoge Darmstadt, Justus-von-Liebig-Verlag Darmstadt 2008, S. 163-165.