Heute geht für uns ein lang gehegter, drei Jahre währender TRAUM in Erfüllung. Mit dem neuen Karl Heß-Platz für DARMSTADT und der Gedenktafel leisten wir einen aktiven
Beitrag gegen das Vergessen: Eine Ehrung für den widerrechtlich aus dem Amt vertriebenen deutsch-jüdischen Vorsitzenden des SV Darmstadt 98, Dr. Karl Heß.
Das ist HEUTE auch und gerade ein Akt der erinnerungskulturellen Wiedergutmachung, nach über 70 Jahren!
Zukunft braucht Erinnerung – so lautet das Motto unseres Fördervereins Liberale Synagoge – und so steht es auch auf unserer schmucken Karl Heß-Gedenktafel, die wir nachher alle sehen werden. Wir würdigen heute einen echten, gebürtigen waschechten Heiner: KARL HESS und sein Leben für die Lilien! Einen Mann, der gerade mal 21 Jahre vor Einweihung seines Böllenfalltorstadions von 1921 in Darmstadt zur Welt kam…
Wie aber kam es zu diesem Traum vom Karl Heß-Platz?
Im Dezember 2013 stieß ich bei meinen Recherchen über deutsch-jüdische Darmstädter Rechtsanwälte und Juristen per Zufall auf den Namen Karl Heß. Bereits im Januar 2014, vor drei Jahren, begannen wir vom Förderverein Liberale Synagoge – in Darmstadt zunächst allein auf weiter Flur, mit unserer öffentlichen Kampagne damit, für Darmstadt einen Karl Heß-Platz mit Gedenktafel zu fordern. Wir waren drei Jahre lang wieder mal Spurensucher und Detektive der Erinnerungsarbeit. Immer mehr verschüttete, verdrängte Vergangenheit kam allmählich wieder zum Vorschein. Bis heute gibt es im Stadtlexikon keinen
Eintrag über Karl Heß…! Vom Januar 2014 an haben wir unseren Traum eines Karl Heß-Platzes mit Gedenktafel mit langem Atem vorangetrieben, zu einer Zeit, als die Lilien eben noch nicht in der 1.Bundesliga waren, noch viele Monate vor dem Aufstiegs-Wunder des 24. Mai 2015… darauf legen wir vom Förderverein Liberale Synagoge größten Wert! Wir, der FLS, waren da Anstoßgeber für eine erinnerungskulturelle Bürger-Initiative von unten. Seit dem 1.März letzten Jahres, 2016, haben wir dann eine gute Zusammenarbeit mit dem SV Darmstadt 98 begonnen, die wir bis Ende März 2017 fortsetzen…
Wir setzen heute, mit diesem besonderen Tag, ein Zeichen für ein geschichtsbewusstes Darmstadt, gegen das Nichtwissen und gegen das Vergessen.
Wie notwendig dieses Zeichen ist, zeigt nicht nur der wachsende Antisemitismus heute, in all seinen Spielarten, sondern auch die Tatsache, dass viele Darmstädterinnen und Darmstädter gar nicht wissen, dass die Lilien einmal einen Deutschen jüdischen Glaubens als Vorsitzenden hatten. Das wird sich ab heute hoffentlich ändern… Überhaupt ist es erstaunlich, dass es, ab 1945 ganze 72 Jahre gedauert hat, bis dieser Mann endlich
für sein Lebenswerk bei den Lilien geehrt wird.
Meine Damen und Herren, Karl Heß war eben kein Einzelfall, beileibe NICHT der Einzige VERGESSENE, der wegen seines Jüdischseins illegal aus seinem Amt gedrängt und verfolgt wurde. Die Person Karl Heß‘ steht stellvertretend für die Tatsache, dass in der Nazi-Zeit die herrschende Mehrheit der Deutschen christlichen Glaubens die Minderheit der Deutschen jüdischen Glaubens systematisch verfolgte, entrechtete und ermordete. Darunter waren Tausende deutsch-jüdischer Fußball-Spieler, Trainer, Vereinsobere, Funktionäre, Manager, die systematisch ausgegrenzt, verfolgt und vernichtet wurden. Karl Heß steht stellvertretend für diese vergessenen Helden des deutschen Fußballs.
Einer von diesen Anderen verfolgten Deutschen jüdischen
Glaubens war unser Freund Howard Adler alias Hans Siegfried Adler: Howard ist Jahrgang 1917, feiert 2017 seinen
100.Geburtstag, wurde in Darmstadt geboren. Er war gefeierter Leichtathlet, ein Medaillengewinner und ein Sportler-As – beim SV Darmstadt 98. Trotz aller Meriten wurde dieser heutige Howard
Adler – von einem Tag auf den anderen – ab 1933 aus dem Verein ausgegrenzt, systematisch gemobbt und denunziert. Da halfen alle Medaillen nichts. Er musste nach Amerika fliehen.
Meine Damen und Herren, immer wenn von Karl Heß die Rede
ist, dann geht es meist um seine Darmstädter Zeit vor der Nazi-Zeit, in der Weimarer Republik, und danach in den 1960er Jahren in Westdeutschland. Aber kaum jemand interessiert sich für das harte Los der Familie Heß im erzwungenen Brasilien-Exil von 1934 bis 1963, dem Holocaust zwar entronnen, aber in einem fremden Land, mit völlig anderer Kultur, fremder Sprache, ohne Hab und Gut: Es war eben keine Emigration, keine freiwillige Auswanderung, kein Zuckerschlecken - es war eine gewaltsame Heimatvertreibung, eine Entwurzelung der schlimmsten Art… Der Schriftsteller Stefan Zweig, der ebenfalls – genau wie Karl Heß nach Brasilien floh – hat das einmal so beschrieben: „Sie haben mir dreimal Haus und Existenz umgeworfen…'. Am Tage, da ich meinen Paß verlor, entdeckte ich (…), daß man mit SEINER Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde." Jede Form des Exils verursache an sich, so Stefan Zweig, „schon unvermeidlicherweise eine Art von Gleichgewichts-störung.“ Diese Gleichgewichtsstörung, diesen schmerzhaften, entsagungsvollen Heimatverlust müssen auch Frieda und Karl Heß empfunden haben… "Ich wollte nicht auswandern, weil ich einfach nicht glaubte, dass Hitler sich so lange halten konnte”, so Karl Heß später. Aus dem vermeintlich kurzen Brasilien-Exil, der Flucht an den Zuckerhut, wurden fast 30 Jahre! Mit Walter Ludin: „Nirgends leuchtet die Heimat so hell wie im Exil.“ 30 verlorene Jahre, in denen Karl Heß nicht sein altes südhessisches Leben hat leben können… Die Familie musste sich in Brasilien mit einem kleinen Bekleidungsgeschäft durchschlagen…
Karl Heß und seine Familie landeten in einem Land, das
nicht nur Tausenden Holocaust-Überlebenden wie Stefan Zweig oder ihnen selbst Zuflucht gewährte, sondern, wie wir heute wissen, auch Zigtausenden Nazi- und SS-Tätern Unterschlupf bot. Den Josef Mengeles, Franz Stangls, der für VW Brasilia als Sicherheitschef arbeiten durfte und vorher Lagerkommandant der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka war, die Wagners –Gustav Wagner der SS-Täter und stellvertretende Kommandant des Vernichtungslagers Sobibor, der sich 1980 durch Selbstmord in Sao Paulo dem drohenden Gerichtsverfahren entzog… alles führende Massenmörder des SS-Staats, die im Riesenland Brasilien einfach untertauchten…
Bei meinen Recherchen kam heraus: Als Karl und Frieda Heß in den 1960er Jahren in der Dieburger Str.48 vis-à-vis vom
Alice-Hospital in Darmstadt eine Wohnung bezogen, da wohnte im gleichen Haus eine Familie,, deren männliches Oberhaupt sich lauthals brüstete, bei der SS und im Osten beim Vernichtungskrieg dabei gewesen zu sein. Diese Atmosphäre
im Darmstadt der 1960er, mag der Grund gewesen sein, weshalb Karl Heß beschloss, nicht in der geliebten Heimat zu sterben, sondern in seiner Exil-Heimat Brasilien, in Porto Alegre…
So gesehen, meine Damen und Herren, ist dies heute auch
eine Art verspätete ZWEITE Heimkehr – Darmstadt bekommt einen Karl Heß-Platz und Karl Heß kehrt zurück ins kollektive Gedächtnis der Stadtgesellschaft! Der verlorene Sohn kehrt heute zumindest symbolisch für
immer in seine Heimatstadt zurück.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, ich möchte Ihnen und
dem Magistrat sehr dafür danken, dass Sie den Traum vom Karl Heß-Platz heute wahrgemacht haben.
Ich möchte dem SV Darmstadt 98, Ihnen, Herr Präsident Fritsch, und insbesondere auch den Mitgliedern der gemeinsamen Pro Karl Heß-Projektgruppe, Wolfgang Arnold, Thomas Waldherr und Peter Schmidt, aber auch Thomas Spengler und Jürgen Koch
für die sehr gute Zusammenarbeit mit uns, dem FLS, sehr herzlich danken. Ohne diese gute Zusammenarbeit stünden wir heute nicht hier.
Ich möchte auch Gerd Pelzer und der Firma Aktivdesign meinen großen Dank sagen, für die wie immer erstklassige, formschöne Arbeit mit Blick auf die Gedenktafel. Wir sind von Ihnen nichts anderes gewöhnt.
Ich möchte vor allen Dingen den heute in den USA lebenden Nachkommen danken – für Ihr Vertrauen und Ihren Zuspruch, insbesondere der Enkelin Fernanda Heß, die via Facebook zuerst mit uns Kontakt aufnahm, aber auch der Witwe des Karl Heß-Sohns Geraldo, Viktoria Heß, und dem Karl Heß-Enkel Gustavo Heß. Leider ist der einzige Sohn von Frieda und Karl Heß, Geraldo Heß, geboren 1942 im Exil Brasilien, viel zu früh, 2005, verstorben. Es ist sehr schade, dass alle DREI lebenden Nachkommen heute nicht hier sein können. Aber ich kann Ihnen die herzlichen Grüße des Karl Heß-Enkels Gustavo
Heß überbringen, der mir vor zwei Tagen aus dem fernen Bangkok schrieb: „Wir sind sehr dankbar ("very grateful"), für die Karl Heß-Initiative des Fördervereins Liberale Synagoge, des SV Darmstadt 98 und der Stadt.“ Und dass er, Gustavo, sich freut, schon bald zum ersten Mal in seinem Leben nach Darmstadt zu kommen, um die Geburtsstadt seines Großvaters kennenzulernen. Ich denke, Gustavo freut sich schon jetzt über eine Freikarte bei den Lilien…
Mein Dank gilt auch dem gesamten Team der Aktiven
des Fördervereins Liberale Synagoge, das diesen dreijährigen Kraftakt der Karl Heß-Kampagne aktiv mitgetragen hat.
Dank geht auch an Daniel Neumann und Peter Benz für deren
immerwährende Rückenstärkung.
Ich danke auch Kevin Zdiara, der das Karl Heß-Projekt von Anfang publizistisch aktiv unterstützte.
Ich will hier last but not least der wunderbaren Irith Gabriely danken, die uns vorhin mit dem Stück Final Countdown beglückt hat – und dies nachher mit Samba e Gol tun wird.
Möge dieser neue Darmstädter Karl Heß-Platz mit der Gedenktafel ein immerwährendes Zeichen sein für empathische, aber auch wehrhafte Demokratie – und für ein starkes Nie wieder! Möge dieser Karl Heß-Platz mit seiner lehrreichen Geschichte die Sinne schärfen für das, was wir heute an Antisemitismus in all seinen modernen Spielarten erleben – leider nicht zuletzt in Fußballvereinen und –Arenen… Antisemitische Hassparolen in Fußball-Stadien sind keine Seltenheit, auch verdeckt oder im Internet…
Meine Damen und Herren, es geht darum, die Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Aus der Geschichte zu lernen. Der Hass gehört neuerdings wieder zu Deutschland. Judenhass ist immer Menschenhass, ist ein Angriff auf uns alle. Ein Angriff auf unsere Demokratie, auf den aktiven Minderheitenschutz. Das ist die Moral der Lebensgeschichte des Karl Heß. Es geht am Ende um den Artikel 1 des GG Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Verteidigung unserer Demokratie. Das gilt auch heute wieder. Mehr denn je.
Wehret den Anfängen bedeutet, auch und gerade heute wieder hellwach zu sein: Das gilt überall, auch und gerade lokal vor Ort, in unserm eigenen Umfeld – sei es im Fußballverein, im Unternehmen, am Arbeitsplatz oder in unserm Alltag… etwa dann, wenn ein Fußballprofi für eine äußerst fragwürdige Nahost-Organisation wie Ansaar International Propaganda macht. Oder auch dann, wenn sich ein Mitglied der Gesellschafterversammlung eines großen Unternehmens als rechtsradikaler Ideologe und Teilnehmer einer Holocaustleugner-Konferenz entpuppt.
Bürger-Aufklärung tut not, in diesen Zeiten: Ich darf Sie daher alle einladen zur nächsten gemeinsamen Veranstaltung des Fördervereins Lib Syn und des SV Darmstadt 98: Zur Ausstellungseröffnung Kicker Kämpfer Legenden am kommenden Mittwoch, 18. Januar, um 19 Uhr in der Volksbank Hügelstraße – über die SPANNENDE, aber unbekannte Geschichte der Deutschen jüdischen Glaubens im deutschen Fußball… mit einer eigens dafür produzierten Karl Heß-Tafel…Und ein neues Buchprojekt ankündigen: Über Karl Heß und sein Leben.
Ich will Karl Heß zitieren, der 1965 sagte: "Ich bin nicht als Jude zurückgekommen, sondern als jüdischer Deutscher, der Hitler nicht den Triumph lassen wollte, ihm seine Heimat geraubt zu haben.”
Meine Damen und Herren, Fritz Bauer hat schon früh an
die Zerbrechlichkeit der Demokratie erinnert:
"Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden."
Eins noch: Karl Heß sitzt sicher jetzt oben auf seiner Wolke, freut sich über die Ehrung und ich höre ihn aber auch laut rufen:
Bitte sorgt dafür, mit Torsten Frings an der Spitze, dass die Lilien die erste Klasse halten! Meinen Segen habt Ihr!