"Nie waren die Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus so wichtig wie heute!"

NIE WIEDER IST JETZT-Rede von Martin Frenzel (Gründer & Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge Darmstadt e.V. – Verein für aktive Erinnerungskultur auf dem Luisenplatz am Montag, 18. November 2024, 18.30 – 19:00 Uhr ff.

Meine sehr geehrten Damen Und Herren,

Liebe Israel-Freundinnen und Freunde,

liebe Darmstädterinnen und Darmstädter,

wir erleben derzeit einen Tsunami des Antisemitismus, dessen haus-, ja, turmhohe Wellen durch ganz Europa und auch und gerade durch Deutschland schwappen.

Nie waren die Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus, die wir vom Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt seit 2012 veranstalten, so nötig wie heute…

Erst vor kurzem sorgte eine neue Studie für Aufsehen, über den großen Einfluss, den die Terrororganisation der Hamas auf Gruppen und Initiativen hier in Europa ausüben, vor allem und nicht zuletzt aufs linke, studentische Milieu, auf Kreise, die sich angeblich „anti-imperialistisch“ und „antikolonialialistisch“ geben.…  Es ist eine falsche Verbrüderung mit Leuten, denen Menschen-, Bürger-, Frauenrechte genauso egal sind wie unsere liberale Demokratie.

Die Berliner Polizeipräsidentin Slowik warnt heute Jüdinnen und Juden in Berlin vor „No Go“-Areas in Berlin. Meine Damen und Herren, ja, wo leben wir denn?

 

Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Wir können weder rechtsextreme noch islamistische No Go-Areas akzeptieren, nirgendwo!

Zukunft braucht Erinnerung, Demokratie braucht Wehrhaftigkeit: Martin Frenzel bei seiner Nie wieder ist jetzt-Rede am 18. November 2024 vorm Gedenkstein der ehenmaligen, 1938 von den Nazis zerstörten Orthodoxen Wickopschen Jugendstil-Synagoge von 1906.

Foto: Renate Stöhr-Ackermann

Wir alle sind tief erschüttert über die pogromartigen Jagdszenen durch die Straßen des ach so liberalen Amsterdams – ein Pogrom im November 2024, mitten in Europa, in einer vorgeblich weltoffenen europäischen Großstadt, auf Menschen jüdischen Glaubens.

Da wurden Menschen gejagt, beleidigt, bedroht, zusammen- und krankenhausreif, einige bewusstlos geschlagen, in den eiskalten Kanal getrieben, ein Klima der Todesangst erzeugt, dass Menschen schrien, sie seien keine Juden, nur, um ihr Leben zu retten.

Meine Damen und Herren,

Amsterdam ist heute überall, und dass im Jahr 2024, gut ein Jahr nach dem Hamas-Massaker auf unschuldige Israelis vom 7. Oktober 2023.

Wir haben uns hier am Gedenkstein der Orthodoxen Synagoge Darmstadt versammelt, um der zahlreichen Opfer der Darmstädter Novemberpogrome von 1938 zu gedenken, als auch und gerade in Darmstadt die Synagogen brannten, Jagd auf Menschen jüdischen Glaubens durch Darmstadts Straßen gemacht, deren Häuser und Wohnungen zerstört wurden.

Wir haben uns aber auch hier versammelt, um an den Anschlag vom 19. Oktober zu erinnern, als unbekannte Täter diesen Gedenkstein, vor dem wir hier stehen, mit einem Hakenkreuz beschmierten und verunstalteten.

Wir verurteilen diese Tat auf das Schärfste, auch und gerade weil sie geschichtsvergessen und menschenverachtend ist. 

Wer Juden und Jüdinnen oder Israel, die einzige Demokratie des Nahen Ostens, mit den Menschheitsverbrechen des SS-Staats auf eine Stufe stellt, mit dem Völkermord an Europas Juden gleichsetzt, der hat nicht alle Tassen im Schrank, meine Damen und Herren.

Dieser Anschlag zeigt aber auch, wie gefährdet, wie bedroht Jüdisches Leben in Europa, in Deutschland, in Darmstadt heute, im Jahr 2024, ist.

Es ist, als würde in den letzten Monaten die Dämme brechen: Als würde von rechtsextremer wie islamistischer, aber leider auch von Teilen der Linken und Teilen der bürgerlichen Mitte der Konsens aufgekündigt und in Frage stellt, dass das NIE WIEDER zur DNA unserer Bundesrepublik gehört.

Geschichtsvergessen ist diese Tat aber auch deswegen, weil sie die Millionen jüdischen Opfer der Shoah verhöhnt. Männer, Frauen und Kinder, die ermordet wurden, nur, weil sie Jüdinnen und Juden waren.

Ja, wissen denn diese geschichtsvergessenen, notorisch geschichtsblinden Täter nicht, dass dieser Gedenkstein an eins der schlimmsten, düstersten Kapitel der Darmstädter Stadtgeschichte erinnert?

Dass er an die Darmstädter Novemberpogrome von 1938 erinnert, als in unserer Stadt die Synagogen brannten, aber auch daran, dass hier einst die zweitgrößte Synagoge unserer Stadt stand, die Orthodoxe Wickopsche Jugendstilsynagoge von 1906 – erbaut übrigens von dem berühmten christlichen Darmstädter Architekten Georg Wickop, der im Kaiserreich zu bedeutendsten Baumeistern seiner Zeit gehörte…?

Die Orthodoxe Synagoge in der Bleichstr. 2-4 galt als ein prachtvoller Kuppel- und Sakralbau, gehörte wie auch die Liberale Synagoge zu den schönsten Bauten unserer Stadt.

Im Internet finden sich Fotos, die die lichterloh brennende Orthodoxe Synagoge zeigen, die hier bis zum November 1938 stand. Auf dem Foto vom Nov. 1938 sieht man rechts daneben das dank der Feuerwehr nicht brennende Verlags- und Redaktionsgebäude des DARMSTÄDTER TAGBLATTS….

Wer wissen will, wie die Orthodoxe Synagoge von 1906 einst aussah, möge auf der gegenüberliegenden Straßenseite durchs Fernrohr der Erinnerung sehen, das erst im letzten Jahr eingeweiht wurde. Dank des Engagements der Computer-3D-spezialisten der TU Darmstadt hat man das Jüdische Gottes- und Versammlungshaus zumindest virtuell wiederauferstehen lassen… und es gibt auch einen 3D-Film auf DVD von 2004, der das Jüdische Gotteshaus dreidimensional  hat wieder lebendig werden lassen.

Das Mahnmal, vor dem wir heute Abend stehen, besteht aus einem 3 Meter breiten und 2,60 Meter hohen Mauerstück aus Sandstein, das an die Klagemauer in Jerusalem erinnern soll. Dieses Mauerstück ist auf einem kleinen abgesenkten Platz aufgestellt, auf dem ein Davidstern angebracht ist.

Auf der linken Seite ist u.a. folgende Inschrift zu lesen:

AUF DIESEM GRUNDSTÜCK STAND DIE SYNAGOGE DER

ORTHODOXEN JÜDISCHEN GEMEINDE DARMSTADT

SIE WURDE AM 9.11.1938 VON FREVLERISCHER HAND

ZERSTÖRT

ZUM GEDENKEN UND ZUR STETEN MAHNUNG

STADT DARMSTADT 1983

Rechts daneben steht diese Inschrift zudem auf Hebräisch. In der Mitte der Mauer ist das Relief einer Menora (siebenarmiger Leuchter der jüdischen Liturgie) zu sehen…

Die Täter, die den Anschlag verübten, wussten also genau, was sie taten.

Ich darf daran erinnern, dass  auch die Lortzsche Menora am Entree der Gedenkstätte der großen Liberalen Synagoge auf dem Klinikumsgelände vor einiger Zeit von einem unbekannten Täter schwer beschädigt wurde.

Jener größten Synagoge Darmstadts, die 1876 eingeweiht, 1938 in Brand gesteckt und gesprengt, deren Überreste 2003 wiederentdeckt wurden, und die 2026, also in zwei Jahren, ihren 150. Geburtstag feiert….

Wolfgang Niedecken von BAP sang in den 1980er Jahren: „Es riecht nach Kristallnacht…“

Heute, meine Damen und Herren, liebe Israel-Freundinnen und Freunde, riecht es wieder nach Kristallnacht.

Jean-Paul Sartre stammt der Satz: »Was der Antisemit wünscht und plant, ist der Tod des Juden«. Und weiter: „Der Antisemitismus ist kein jüdisches Problem, er ist unser Problem.“ Und Sartre fügt hinzu: „Der Antisemitismus ist die Furcht vor dem Menschsein.“

Dieser Gedenkstein, aufgestellt 1983, gehört zu jenen Wegzeichen der Demokratie und der aktiven Erinnerungskultur unserer Stadt, die unseren ganz besonderen Schutz verdienen – und die wir hüten müssen, wie unseren Augapfel.

Nie war der Kampf gegen Antisemitismus so nötig wie heute.  Auch und gerade, wenn er, wie heute, zumeist im Gewand des israelbezogenen Antisemitismus daherkommt.

Man kann es nicht oft genug betonen: Wer Juden und Jüdinnen angreift, greift uns alle an, greift unsere liberale Demokratie, greift unser Grundgesetz an.

Meine Damen und Herren,

liebe Israel-Freundinnen,

umso schändlicher ist es, wenn eine Hundertschaft Islamisten laut ins Megaphon brüllend ausgerechnet am vorletzten Samstag, den 9. November (!), dem Jahrestag der Darmstädter Novemberpogrome, ihrem Judenhass ungehindert freien Lauf lassen und ihr Unwesen treiben dürfen – und dass am hellichten Tag, mitten in unserer Stadt, auf dem Luisenplatz, der in der NS-Zeit Adolf-Hitler-Platz hieß.

Meine Damen und Herren,

liebe Israel-Freundinnen und Freunde,

das war und ist eine Schande, dass so etwas in unserer Stadt am 9. November geschehen konnte.

Umso wichtiger ist es, liebe Israel-Freundinnen und Freunde, dass wir nicht nachlassen: Immer und immer wieder den Feinden Israels und den Judenhassern dieser Welt Paroli bieten und dass wir Israel, der einzigen Demokratie des Nahen Ostens, und seinen Menschen unsere ganze Solidarität und Empathie zeigen. An die Opfer des Hamas-Terrors denken, an die Geißeln. Jeden Tag aufs Neue.

Dass wir den Menschen der Jüdischen Gemeinde Darmstadt, den Menschen in Israel und nicht zuletzt in unserer nordisraelische Partnerstadt Naharya versichern: Ihr seid eben nicht allein, wir stehen unverbrüchlich an Eurer Seite!

Regierungen in Israel kommen und gehen, die Menschen in Israel aber bleiben. Sie haben unsere ganze Solidarität und Empathie verdient.

Lassen Sie mich zum Schluss Primo Levi zitieren und Esther Bejarano, geb Loewy:

Von Primo Levi, dem Shoah-Überlebenden, der die Hölle von Auschwitz überlebte, stammt der erschütternde, unter die Haut gehende, aber immer noch sehr wahre Satz:

Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben."

Und Esther Bejarano, auch sie eine Überlebende des Holocausts, eine Ausschwitz-Überlebende, sagte einmal:

„Ihr seid nicht schuldig für das, was damals geschehen ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts von dieser Geschichte wissen wollt.“

 

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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OB Partsch überreicht den GESICHT ZEIGEN!-Preis an FLS-Vorsitzender Martin Frenzel Foto: Gabriele Claus
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